[215]  "Heinrich Zur Öveste" und "Marie Reichenbacher" hatten am 8. November 1871 in der "evang. deutschen St. Paulus-Gemeinde" in Cincinnati geheiratet. Die Braut wurde am 17. Februar 1853 in Cincinnati geboren und am 27. März in der "deutsch-evangelischen St. Pauli Gemeinde zu Cincinnati" auf den Namen Maria Barbara getauft. Die Brautleute waren am Tage der Hochzeit 26 und 18 Jahre alt (J. H. zur Oeveste und Louise Regina Geist hatten mit 38 bzw. 24 Jahren geheiratet; vgl. Anm. 48).
Die Eltern der Braut stammten aus Schellert bei Neustadt an der Aisch. Die "beabsichtigte Auswanderung nach Amerika" der "ledigen Bauerntochter Maria Barbara Ostertag" wurde am 11. September 1847 im "Wochenblatt der Stadt Neustadt an der Aisch" vom "Königlichen Landgericht" bekannt gemacht, die des "Johann Reichenbacher, 'lediger Gutsbesitzer'", am 8. März 1851: "Allenfallsige Ansprüche an diese Personen sind bei Vermeidung späterer Nichtberücksichtigung ... anzumelden". Johann Reichenbacher war am 11. Juni 1851 von Le Havre aus mit der "Bavaria" in New York eingetroffen. Am 15. März 1853 hatte er sich in Cincinnati um die amerikanische Staatsbürgerschaft beworben.
Heinrich zur Oeveste hatte am 20. November 1871 seinen Eltern geschrieben, er habe "auf dem ersten Januar nächsten Jahres einen Laden gemiethet und beabsichtige, (sein) eigenes Geschäft anzufangen". Für Laden und Wohnung darüber zahle er nur 200 Dollar im Jahr. Er werde das Geschäft seines "jetzigen Prinzipal", der sich in Lexington vergrößere, übernehmen und dessen Kundschaft dazu. Er habe zunächst für 2000 Dollar Waren auf Kredit gekauft, aber "in den ersten 3 Monaten wenig oder gar nichts verdient über meine Ausgaben". Im Frühjahr 1872 schrieb er (undatiert), er "verkaufe so billig wie irgend Jemand hier". Im Herbst werde er mehr verkaufen: "Im Sommer können die Neger in Hemd u Hosen herumlaufen, aber im Winter geht das nicht, sie frieren zu leicht". Am 21. Oktober 1873 rechnete er seinen Eltern vor, er habe vom 17. bis 21. Oktober, also "in 4 Tagen 73 dollar reinen Verdienst" gehabt, vom 1. Januar bis zum 30. Juni "500 Dollar". Er habe mittlerweile "einen viel schöneren Laden und deshalb auch viel mehr weiße Kunden und einen Waarenvorrath von 5000 Dollar. Ich muß mir wahrscheinlich noch einen Comis engagieren".
Am 22. und 29. Dezember 1871 zeigten "Speyer and Mayer" in der "Woodford Weekly" an, daß man das Geschäft nach Lexington verlege und die Waren im Ausverkauf anbiete. Am 5. Januar 1872 kündigten sie die Schließung des Geschäfts für den 10. Januar an, am 12. Januar mahnten sie, Schulden zu begleichen, weil man sie sonst eintreiben werde. Heinrich zur Oeveste übernahm sehr wahrscheinlich dieses Geschäft an der "Main Street". Die Zeitung enthält keinen Hinweis auf ihn und auch keine Anzeige. Am 12. Dezember 1873 (und so auch am 2., 9., 16. und 23. Januar 1874) hatte Heinrich zur Oeveste eine Kleinanzeige aufgegeben: "Ich erlaube mir, den Einwohnern des Woodford County anzuzeigen, daß ich mein Geschäft jetzt in John M. Smith's Gebäude betreibe, meinem bisherigen Laden gegenüber, und daß ich eine Menge neuer Waren herbeigeschafft habe, bestehend aus Kurzwaren, Kleidung, Stiefel, Schuhe, Hüte, Mützen etc. Ich habe sie während der kürzlichen panic" (vgl. Anm. 224) "gekauft und ich werde sie zu einem sehr niedrigen Preis verkaufen. Melden Sie sich bei mir."
Heinrich zur Oeveste hatte am 20. November 1871 seinen Eltern auch geschrieben, daß er geheiratet habe: "Jetzt kocht meine Frau was ich haben will und was mir gut schmeckt, sie ist sehr fleißig und arbeitsam, und glaube ich, daß ich eine passende Frau bekommen habe." Er werde darum beneidet, weil es "unter den Amerikanischen Damen noch nicht Mode ist, andere Arbeit zu thun als sich zu putzen" (21. Oktober 1873). Am 4. Januar 1874 schrieb er seinem Onkel Rudolf Greve in Fladderlohausen (vgl. Anm. 8), er habe sich "ein Weib genommen, ..., gesund, jung, hübsch ... und sehr arbeitsam, eine Eigenschaft, die ich selbst in keinem zu hohen Grade besitze, ..., nicht daß ich faul bin, Gott bewahre, nur daß ich eine ziemliche Portion Ruhe vertragen kann."
(Hughes 311; NAMP: M 237, R. 100 "Bavaria"; St. Paulus, Cincinnati: Kirchenbücher; Fam. Schütte: Briefe des Heinrich zur Oeveste; Wochenblatt der Stadt Neustadt an der Aisch; The Woodford Weekly)

[216]  J. H. zur Oeveste hat am 1. März 1871 in seinem "Weltbote(n)" unter dem Titel "Die deutsche Einwanderung und ihr Einfluß" lesen können: "Gott hat nicht umsonst Millionen eines Volkes, dem er gerade in den höchsten Gebieten des geistigen Lebens eminente Gaben verliehen hat, in dieses Land geführt, ohne ihnen eine Mission zu ertheilen. Diese Mission wird erfüllt durch Aneignen des Guten ... und durch Mittheilen des Guten. Und aus diesem wechselseitigen Geben und Nehmen werden sich die nationalen Eigenthümlichkeiten des Englischen und Deutschen miteinander verschmelzen und für die Zukunft den Charakter des Volkes ausbilden. Aus diesem großartigen geschichtlichen Prozesse wird als Resultat hervorgehen eine Nation, welche das Weltvolk der Erde sein wird." (Vgl. Abb. )
General Grant war ein zweites Mal der Kandidat der Republikanischen Partei (5./6. Juni 1872). Er gewann die Wahlen am 5. November 1872 mit einer Mehrheit von 763 000 Stimmen und mit 286 gegen 66 Wahlmännern. Von 37 Staaten hatte er 31 für sich gewonnen (vgl. die Anm. 159 und 191). Die meisten Republikaner waren dem Soldaten und Helden des Bürgerkriegs treu geblieben. Wirtschaft und Banken unterstützten ihn, auch mit Geld oder Propaganda - oder nur mit ihren Stimmen.
Horace Greeley (1811-1872) war der Gegenkandidat der zerstrittenen Demokratischen Partei (9. Juli 1872), aber auch der Liberal-Republikaner, die sich am 1. Mai 1872 in Cincinnati versammelt und ihn gewählt hatten. Er war Herausgeber der "New York Tribune", Initiator der noch heute erscheinenden literarischen Zeitschrift "New Yorker", Verbreiter sozialistischer Ideen, Vegetarier und Spiritist, Befürworter des Frauenwahlrechts und Gegner von Sklaverei, Alkohol, Ehescheidung und Theater. Der Slogan "Go West, young man - go West" stammt aus seiner Feder.
In der Liberal-Republikanischen Partei sammelten sich seit 1870 sehr unterschiedliche Kritiker und Gegner des Präsidenten (Grant) aus den eigenen Reihen, die mit den Südstaaten versöhnlicher umgehen, den öffentlichen Dienst nicht vor allem gefügigen Parteigängern öffnen (vgl. Anm. 75) und die expansive Außenpolitik in die Karibik hinein (vgl. Anm. 98) verhindern wollten. Korruption und Vetternwirtschaft warfen sie dem Präsidenten vor, Bestechlichkeit, Bestechung und Amtsanmaßung ("Grantismus"). Die Mehrheit konnte sich nur auf den brillanten und exzentrischen Herausgeber und Publizisten Horace Greeley einigen, der aber keine Chancen gegen den beliebten alten Soldaten hatte. Ulysses S. Grant blieb unversehrt von den schlimmsten Vorwürfen, als "Skandale wie Tornados um ihn herumwirbelten" (Schlesinger; vgl. Anm. 226).
Carl Schurz (1829-1906), liberaler und populärer Revolutionär (1848/49) aus Deutschland, 1861/62 amerikanischer Gesandter in Madrid, im Bürgerkrieg Divisionskommandeur, 1869-1875 Senator für Missouri, 1876-1881 Innenminister der USA, hatte die Versammlung der Liberal-Republikaner in Cincinnati geleitet, Greeley als Präsidentschaftskandidaten auch der liberalen Republikaner aber nicht verhindern können.
(Boyer 552ff.; Morison II 76-79; Schlesinger 320-323; Trefouse 182-215)