Antonius Holtmann:

Kein Meisterstück oder: Wie "Liwwät Böke" mit fremden Federn geschmückt wurde ....



„Map 1 – Germany;
Map 4 – Ohio”;
„Our Passage to America“ (39-47);
“Baltimore – Those who were Indentured” (51)


Die beiden Karten sind signiert mit „Liwwät Böke 1834/35“ (1) und „Liwwät Böke 1835/6 feddig 1840“ (4).
Karte 1 enthält die Eindeichungen von Wilhelmshaven bis Hooksiel, die von 1938-1974 durchgeführt worden sind. Diese Karte wurde also erst nach 1975 angefertigt. Die Stadt „Wilhelmshaven“ ist eingetragen. Die Namensgebung durch Preußens König Wilhelm I. fand am 17. Juni 1869 statt.

Liwwät Bökes Zeichnung von 1835
Territorialentwicklung des Oldenburger Landes(teils) im 19. und 20. Jahrhundert(modifiziert), aus:
Albrecht Eckhardt/Heinrich Schmidt (Hg.): 
Geschichte des Landes Oldenburg. Ein Handbuch. Oldenburg 1987

Auch die eingetragenen Grenzen der Stadt und des Landes Bremen sind neueren Datums. Sie schließen die Orte Lesum, Grohn, Schönebeck, Aumund, Blumendahl, Farge, Hemlingen und Mahndorf mit ein. Deren Eingemeindung hat erst 1939 stattgefunden. Um 1835 erstreckte sich Bremen über ca. 256 Quadratkilometer. Heute sind es ca. 404 Quadratkilometer.(13) Bei dieser Karte handelt es sich um eine Fälschung.

"Liwwät" 1835

Bremen um 1900 (Scobel 1901)

Karte 4 enthält den Bundesstaat „West Virginia“. Er ist 1863 als 35. Bundesstaat in die Union aufgenommen worden. Diese Eintragung kann nach 1863 vorgenommen worden sein. Sehr wahrscheinlich hat Liwwät Böke auch diese Karte nicht gezeichnet.

„Den Wegg nao Amerika hen“ hat „Liwwät“ in ihrem Reisetagebuch wenig glaubwürdig beschrieben. Sie nennt nicht den Schiffstyp (Brigg, Bark), nicht den Schiffsnamen und nicht den des Kapitäns. Daten zur Abreise und zur Ankunft werden nicht mitgeteilt, auch nicht die Kalendertage zu ihren Notizen, nicht einmal die Jahreszeit. Von der Höhe der Reisekosten ist nicht die Rede. Und dass zahlreiche Passagiere auf einem seetüchtigen Schiff schon auf der Weser ein „bissken Seekrank“ (LK: „ a little seasick“) wurden („Usse Kopf gäit rundrum, un de Meistens ussen Trupp kötzet siik de Sieten Schipp ut.“; LK: „our heads go around and most of our group vomited over the side of the ship“), ist kaum vorstellbar.
In Bremen angekommen („Wi sint nu insiet den grouten Hafenstaot Bremnen“ (LK: „We are now inside the great port city of Bremen“), „wi kuiert mit den verschiedene Schiffenrentmeister un Plaats annemmen upt Seilschipp naoto Baltimore hento“ (LK: „ We talked with various ship`s representatives and took space on a sailing ship for Baltimore“.).


Stempel des Schiffsmaklers Lüdering auf der Passagierliste der Brigg "Globe",
Bremenerhaven - Baltimore, angekommen am 2. August 1834
(National Archives Microfilm Publications, Washington, D.C., M 255, Roll 1)

Eine „Kajuhte“ habe man bekommen, „ein so geliik ene Slaapschaff bis üssen huus mit tween trekken unner den Slaapkojn“ (LK: „a cabin that was about like a sleeping alcove at our house with two drawers under the sleeping berths“), durch Holztüren zu verriegeln (Vgl. die Abbildung.). Einen aufwändig getischlerten Alkoven, auch doppelstöckig und mit Vorhängen versehen (und keinesfalls mit Holztüren), hat es in der vom Kapitän mitbewohnten vornehmen und teuren mehrräumigen Kajüte gegeben, nicht aber im Zwischendeck. Da teilten sich bis zu 10 Personen die Strohlager in grob gezimmerten Doppelstockbetten, die in einem Raum, dreifach aufgeteilt für allein reisende Frauen, für Ehepaare/Familien und für allein reisende Männer, aufgestellt waren. Auf der Rückreise wurde das Zwischendeck als Frachtraum z. B. für Baumwolle und Tabak genutzt.(14)


Gerstäckers "Coye" im Zwischendeck
"Liwwäts" "Schlaapkojn" (Alkoven) im Zwischendeck.
(Vgl. den Alkoven in "Pictures from my Childhood".)

„Liwwät“ ist im Zwischendeck und nicht in der Kajüte gereist. Sie berichtet am 15. Tag von Nörglern und Streithähnen „dree Slaapkojn to rechten mienen. . . . Se sint wirklich Siogainer, mit swatte Aogen, Hut un Haor“(LK: „three beds, sleeping berths, to my right“. .  .They are really gypsies with their black eyes, skin and hair”). Am 21. Tag erzählt sie von einem Dieb, der sich an ihrem Eigentum vergriffen habe. Er sei „unnerhen alleene“ (LK: „ down here alone“) geblieben, während alle anderen „upt upperste Dekke“ (LK: „on the upper deck“) an der frischen Luft gewesen seien. „Liwwät“ hat nicht am Kajüten- bzw. Kapitäns-Tisch gespeist. Am 41. Tag berichtet sie, man habe nicht selten erst nachmittags um 4 Uhr das Mittagessen bekommen, weil zunächst für den Kapitän und die Mannschaft gekocht worden sei. Danach habe es „wateriges Gemös“ (LK: „watery soup“) für die nahezu hundert Zwischendeck-Passagiere gegeben, „baoll unpassig för Mensken“ (LK: „almost unfit for humans“).
„Liwwät“ geht in Bremen an Bord und passiert Bremerhaven ohne Halt: „Gisten sint wi duur den Haffen Bremen kommen un Vandage sind wi in Nordsee um to Heligoland.“ (LK: „Yesterday we came through the port of Bremen (Ed. –Bremerhaven) and today we are in the North Sea on the Way to Heligoland.”)
Diese Angaben sind unglaubwürdig. Bremen hatte an der Wesermündung 1827 Bremerhaven gegründet, und seit dem 12. September 1830 war das mit der Weser verbundene und durch eine Schleuse gesicherte Hafenbecken in Betrieb. Die Weser war zunehmend versandet, so dass Bremens Honoratioren sich zu dieser Maßnahme gezwungen sahen. Hochseetüchtige voll beladene Schiffe konnten schon seit dem frühen 17. Jahrhundert nicht mehr Bremen, sondern nur noch den Hafen von Vegesack (und auch den nicht mehr seit Mitte des 18. Jahrhunderts) und den Bremen vorgelagerten oldenburgischen Hafen Brake mit Hilfe der Flut erreichen und auch nur so verlassen. Mit Pferd und Wagen gelangte man nach Bremen bzw. Bremerhaven oder eben mit vor allem für den Warentransport gedachten Weserkähnen. Diese weitgehend offenen Fluss- und Küsten-Schiffe und seit Ende der 1830er Jahre auch von Dampfschiffen gezogene Kähne brachten zumeist die Auswandernden bis 1862 (Eisenbahnverbindung) in 2 bis 3 Tagen, später auch an einem Tage, zum gut 60 km entfernten Bremerhaven, nachdem sie in Bremen mit den Schiffsmaklern bzw. in der Nähe ihres Heimatortes bei deren Agenten ihre Verträge abgeschlossen und ihre Reisekosten bezahlt hatten. So verlangte es die „Verordnung wegen der Auswanderer mit hiesigen oder fremden Schiffen“ des Bremer Senats vom 1. Oktober 1832.(15)

In Baltimore angekommen, will „Liwwät“ auf ihrem Schiff „dat in Dienst Nemmen“ (51: „Baltimore  -   Those Who Were Indentured“) selbst beobachtet haben („Ik häff sölwest saihn . . .“; LK: „I have seen this myself“). 

„Liwwät“ hat dies nicht „sölwest saihn“, sondern die Beschreibung des „Gesehenen“ Gottlieb Mittelbergers Reisebericht von 1756 entnommen. Der Schulmeister und Organist Gottlieb Mittelberger , der eine in Heilbronn gebaute und für Philadelphia bestimmte Orgel begleitete, hat geschrieben:

„So haben mich viele Württemberger, Durlacher und Pfälzer, deren sehr viele darinnen sind,, und Taglebens es beseufzen und beklagen, dass sie ihr Vaterland verlassen, mit Thränen und aufgehobenen Händen, ja gar um Gottes Willen gebethen, solches Elend und Herzeleid in Teutschland bekannt zu machen, damit nicht nur das gemeine Volk sondern auch selbst Fürsten und Herren erfahren möchten, wie es ihnen ergangen, und nicht mehr unschuldige Seelen aus ihrem Vaterland zu gehen, durch die Neuländer beredet, und in gleiche Sklaverei gezogen werden möchten. . . . Wann die Schiffe bey Philadelphia nach der so langen Seefahrt angelandet sind, so wird niemand herausgelassen, als welche ihre See-Frachten bezahlen, oder gute Bürgen stellen können, die anderen, die nicht zu bezahlen haben, müssen so lange im Schiffe liegen bleiben, bis sie gekauft und durch ihre Käuffer vom Schiff los gemacht werden. Wobey es die Kranken am schlimmsten haben, denn die Gesunden werden allezeit lieber und mithin zuerst gekauft, da dann die elenden Kranken vielmals noch 2. 3. Wochen vor der Stadt auf dem Wasser bleiben und öfters sterben müssen. . . . Alle Tage kommen Engelländer, Holländer und hochdeutsche Leute aus der Stadt Philadelphia, und sonsten aller Orten zum Theil sehr weit her, wohl 20. 30. bis 40. Stunden Wegs, und gehen auf das neu angekommene Schiff . . . und suchen sich unter den gesunden Personen die zu ihren Geschäften anständige heraus und handeln mit denen selben, wie lange sie vor ihre auf sich habende See-Fracht, welche sie gemeiniglich noch ganz schuldig sind, dienen wollen. Wenn man nun des Handels eins geworden, so geschiehet es, dass erwachsene Personen für diese Summe nach Beschaffenheit und Stärke und Alters 3. 4. 5. bis 6. Jahre zu dienen sich schriftlich verbinden. Die ganz jungen Leute aber, von 10. bis 15. Jahren, müssen serviren, bis sie 21. Jahre sind.“



„Liwwät“ hat diesen Bericht in unzulängliches Plattdeutsch übertragen und ein wenig hergerichtet und dramatisiert: Aus Philadelphia wird Baltimore, und (unverkäufliche) Blinde und Krüppel bereichern das Verkaufsangebot (!), und aus 3-6 Jahren Dienstverpflichtung werden 5-10 Jahre. „Liwwät“ hat geschrieben:

„Dat Schiff brinkt Württembergers, Durlachrs und Palts . . .Dao sint mannige, de bejämmeren un begrienen iähren Andeel un se Duutskland verlaoten habbt, un belegert mi mit träon un uprichtet händen un Guotts Sake to bekennt maken in Duutskland iähren Elende un hiärten Stink, so dat blaas Bure of Allgemein Lue, äover ook Edelen un Graofen bekennt maokt sint iähren Unnersindung um dat nicht merehre Unschuldige Lue Mensken sich tokürent laoten um to utwanneren dat Vaderland in dat Liaben de Slaafen luort sint. . . . Wann dat Schiff naoden lange Riese, tokommt to Lant, nieman is aflaoten dat Schiff, bloas sokken, de Betallt sint iähren Riesen Kosten  -  of se gurdden Versicherheit hebbt, de anneren, de, wekken nicht dat mittel af Geld haolt of findt moeten upt Schiff bliffen bis se verkaupt sint, un sint loloaten von Schiff bi iären Verkauper. Kirnen Kauper kauppezt de Kranken, Blinde of aollern. Gesunde Mensken kauppet se bünigs. De lienere un kruppeleren liggt faken twen of dren Wiäken bis se daut sint. . . . Jeden Dag kommt Hollaqnder, Engelsken un Houchduutsken hier hen von diätig of mäihr Milen um to Mensken haupen de Verkauppen sint. Se utsöeket de Gesunde Lue, um to brukken de Stautigheit un Afspräikt mit em den Tiidlang de willig sint för iähr Riesenkosten. De Angenemmung is verheidt in Schriewen up Pappier, un se beid sich un fief of tain Jaohren, se liäst nich Engelsk. Jungens arbeit bis se 21 jaohren sint. . . Mit angst . Liwwät Böke.“

Luke Knapke hat dies ins Englische übertragen:

[The ship carried Württembergers, „Durlachers“ (Ed.-?) and Palatines. . . . there were many who complained and moaned on their part that they had left Germany. And they begged me with tears and outstretched hands for God’s sake to acquaint those in Germany with their sufferings and heartbreak so that not only the farmers or ordinary people, but also the nobles and counts, would be made aware of their discovery, so that no more innocent people would let themselves betalked into emigrating from the fatherland and be lured into the life of a slave. . . . When the ship reached land after the long journey, no one is let off the ship except those who had paid their travel costs or had good security. The others who didn’t have the funds or money found they had to stay on the ship until they were sold and were let off the ship by their seller. No buyers bought the sick, the blind, or the elderly. Health persons were bought at once. The suffering and crippled often lay on the ship two or three weeks until they died. . . . Every day Dutchmen, English and High Germans come here from thirty or more miles to buy the humans who are for sale. They seek out the healthy people to take advantage of their poverty, and dispute the whole time with those who are willing to serve for their travel costs. The chosen one is bound in writing a paper for five or ten years; they can’t read English. Young ones work until they are twenty-one years old. . . . With anguish, Liwwät Böke.]

Es handelt sich bei diesem Text auf jeden Fall um ein Plagiat.

„Liwwäts“ Beobachtungen sind, übers Plagiatieren hinaus, völlig unglaubwürdig.

Die Bremer „Verordnung“ vom Oktober 1832 verlangte von den Auswanderungswilligen, sich „vorab an die hiesigen Verfrachter oder Schiffsmäkler oder an die auswärtigen Bevollmächtigten derselben sich zu wenden und wegen der Schiffsgelegenheit für ihre Überfahrt . . . das Erforderliche zu verabreden in allen Fällen auch vorab mit den zur Bezahlung des Passagegeldes und zur Bestreitung ihrer anderweitigen Bedürfnisse nöthigen Geldmitteln sich zu versehen“. Immer noch gingen „einzelne . . .von irrigen Voraussetzungen aus, „daß sich auch wohl ohne vorgängige Bezahlung des Passagegeldes ihre Einschiffung bewerkstelligen lasse“. Jeder Auswanderer habe sich bei der „Polizei-Direktion im Stadthause für sich und seine Angehörigen zu melden, theils um sich über obige Erfordernisse zu legitimieren, theils um einen Erlaubnisschein für seinen hiesigen Aufenthalt . . . zu erhalten“.

Was „Liwwät“ hier als vertraglich vereinbarte Dienstleistung (Indentured Service: Redemptioner-System: engl. Redemption = Rückkauf, Tilgung; Abzahlung, Freikauf) beschreibt, war durchaus üblich im 18. Jahrhundert, nachweisbar seit 1728. „Zeitweise fielen bis zu 75 % in diese Gruppe“ (Maier). In die britischen Kolonien bzw. die USA einzuwandern, vor allem aus England und Irland, aber auch aus Deutschland (von „Deutschenhandel“ war auch schon mal die Rede), unter der Bedingung, sich die Reisekosten von einem Dienstherrn bezahlen zu lassen, dem man sich vertraglich auf mehrere Jahre verpflichtete, auch unter den entwürdigenden Bedingungen, unter denen Dienstpersonal im 18. und auch noch 19. Jahrhundert häufig zu leben hatte. Sklaven-Importe und die sich anschließende Eigenproduktion von Sklaven haben der per Schiffstransport organisierten vertraglichen Dienstleistungsvermittlung von Einwanderern zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Ende bereitet: 1790 gab es in den USA ca. 700 000 Sklaven, 1820 waren es ca. 1.500 000 und 1860 ca. 4.000 000, obgleich der Import seit 1808 verboten war. Billige Arbeitskräfte gab es also zur Genüge, und europäische Einwanderer strömten seit 1830 zunehmend ins Land. Kapitäne hatten es 1834/35 nicht mehr nötig, sich auf besagten Menschenhandel einzulassen..(16)
Absurd sind „Liwwäts“ abschließende Bemerkungen. Ein geschäftstüchtiger Kapitän hätte Kranke, Blinde, Krüppel und Alte nicht im Angebot gehabt. Nur gesunde und kräftige Auswandernde hat man in mehrjährige Arbeitsverträge hinein verkaufen können. Und er hätte sein Schiff nicht zwei bis drei Wochen im Hafen behalten, bis zum bitteren Ende.
Dieser Text ist der klugen „Liwwät“ nicht zuzumuten; er ist ein Plagiat von fremder Hand.

Weiter: Ein Bilderbogen



[13] Albrecht Eckhardt / Heinrich Schmidt (Hg.): Geschichte des Landes Oldenburg. Ein Handbuch. Oldenburg: Holzberg 1987, 641 und Kartenanhang.   -   Vgl. Konrad Elmshäuser: Geschichte Bremens. München: Beck 2007, und z. B. A. Scobel: Velhagen & Klasings Neuer Volks- und Familien-Atlas in 100 Kartenseiten. Bielefeld / Leipzig: Velhagen & Klasing 1901 (Dieser Atlas ist in Einzelblättern auf der Website der DAUSA im DAUSA-Shop verfügbar (www.dausa.de).

[14] Friedrich Gerstäcker ist am 20. Juli 1837 im Zwischendeck der 4 Jahre alten Bark „Constitution“ in New York eingetroffen (National Archives Microfilm Publications, Washington D.C., M 237, Roll 34). Er berichtete seiner Mutter: „Nun will ich mir einmal Mühe geben Dir das Zwischendeck so genau wie nur irgend möglich zu beschreiben, denke Dir einmal einen Raum von ungefähr 12 Schritt Länge 9 Schritt Breite, 8 Fuß hoch, an beiden Seiten mit den Schlafstellen oder Coyen versehen, von denen immer 2 von Brettern genagelt übereinander sind, ungefähr in der Art wo in jeder Coye 10 Mann liegen, 5 oben und 5 unten, denke Dir nun diesen Raum zwischen den Reihen Coyen in der Breite von Schritten, in dessen Mitte aber noch Kisten und Koffer der Auswanderer aufgestapelt sind, die aber auch noch an den Coyen entlang stehen . . . Denke Dir nun diesen Raum bei schlechter Witterung, 100 und ungefähr 10 bis 15 Auswanderer eingeschlossen, denke Dir ihre Ausdünstung das Lachen Toben, Uebergeben, Lamentieren, Kinderschreien etc, etc, und Du wirst dann ein ziemlich treues Bild Diese Raumes haben“ (Peter Michael Pawlik: Von der Weser in die Welt. Die Geschichte der Segelschiffe von Weser und Lesum und ihrer Bauwerften 1770 bis 1893. Hamburg: Kabel 1994, 181). Von „Schlafkojen, immer zwei übereinander, und jede ist für 5 Personen eingerichtet; . . . es müssen immer fünf in den Kasten“, berichtet Minna Praetorius, die am 30. Mai 1846 mit der 6 Jahre alten Bark „Diana“ in New Orleans eingetroffen ist. Sie selbst reiste in der Kajüte, zusammen mit Ihrem Ehemann und einer Bekannten, und sie aßen auch dort an einem Tisch zusammen mit dem Kapitän. Eine „Bank . . . unter dem Fenster der Cajüte” durfte nicht von den Zwischendeck-Passagieren benutzt werden. (National Archives Microfilm Publications,Washington D.C., M 259, Roll 25; Minna Praetorius: Als Kajütpassagier nach Amerika. In: Deutsches Schiffahrtsmuseum (Hg.): Auf Auswandererseglern. Berichte von Zwischendecks- und Kajüt-Passagieren. Bremerhaven: Deutsches Schiffahrtsmuseum 1976, 58). Am 19. September 1836 legte die Brigg „Ulysses“ in Baltimore an (National Archives Mikrofilm Publications, Washington D.C., M 255, Roll 1). Die Arzt-Gattin Jette Bruns reiste in der “eleganten Kajüte”: „Die Bettstellen sind sehr geräumig“ und „einen neuen großen Tisch haben wir.“ Man „speist mittags auf Einladung des Kapitäns in der Kajüte“ (Silke Schütter (Hg.): Ein Auswandererschicksal in Briefen und Dokumenten. Warendorf: Archiv des Kreises Warendorf 1989, 72, 74). Am 26. September 1852 erreichte das 10 Jahre alte Vollschiff „Goethe“ Baltimore. Die zusammen mit vier anderen in der Kajüte reisenden Geschwister Ludwig und Charlotte Schreiber stellten fest: „Die Cajüte ist ganz niedlich eingerichtet“. Und es gebe „ein großes Hühnerbauer worin circa 80 Hühner und einige Hähne, 20-25 Enten, für den Cajütentisch aufbewahrt sind; vor diesem ein hölzerner Behälter mit zwey . . . Ferkeln . . . ,von denen wir nachher Ragout machen werden“. Das Fazit der Geschwister: „Cajüte kostet das doppelte aber man bleibt doch Mensch darin“ (Ursula Feldkamp: Schreiber, Ludwig und Charlotte: Tagebuch geführt auf der Reise von unserer Heymath Quakenbrück, über Bremen, Bremerhaven mit den 340 Last großen dreymastigen Schiff Göethe Capitain Homan nach Baltimore in Amerika. In: Deutsches Schiffahrtsarchiv 14 (1991), 6, 15, 20 f., 32 f., 52 f.; National Archives Microfilm Publications, Washington D.C., M 255, Roll 9). 1833 bevorzugte Fridrich Arends aus Aurich Anfang August auf der Jungfernfahrt des Vollschiffs „Theodor Körner“ (am 4. Juli vom Stapel gelassen) von Brake im Oldenburgischen (4. August) nach New Orleans die teure „Cajüte”, weil „die Ueberfahrt im Zwischendeck für jeden nur einigermaßen feinern Gefühls immer sehr widerlich” sei.  Er aß noch drei Wochen frisches Geflügel und Schweinefleisch, Eier und „leicht geröstetes“ Pumpernickel. Und „das Wasser war besser als für die übrigen Reisenden, oder vielmehr die Fässer; es hielt sich bis zu Ende der Reise ziemlich gut, überdem war ein großer Filtrierstein vorhanden“. Die Passage hatten schon zuvor die Makler Westhoff & Meier besorgt. Das Schiff traf um den 20. Oktober 1833 in New Orleans ein (Fridrich Arends: Schilderung des Mississippithales, oder des Westen der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Nebst Abriß meiner Reise dahin (zuerst 1838). Leer: Schuster 1974, 19, 22 f.; vgl. auch Pawlik, 179.). Zu den Reisebedingungen im Zwischendeck vgl. Hermann Wätjen: Aus der Frühzeit des Nordatlantikverkehrs. Studien zur Geschichte der deutschen Schiffahrt und der deutschen Auswanderung nach den Vereinigten Staaten bis zum Ende des amerikanischen Bürgerkriegs. Leipzig: Felix Meiner 1932, 133-165.

[15] Förderverein Deutsches Auswanderermuseum (Hg.): Bremen und Bremerhaven als Auswandererhäfen. Bremerhaven: Förderverein 1988.   -   Schon im Frühjahr 1833 gab es die ersten Agenturen der Bremer Makler Lüdering und Traub, Westhoff und Meier in Damme und in Bramsche, in Osterkappeln und in Osnabrück. Am 27 Februar 1833 brachte der „obrigkeitlich angestellte und beeidigte Schiffmäkler J. D. Lüdering“ in den „Osnabrückische(n) Öffentliche(n) Anzeigen“ im nicht amtlichen Teil „zur öffentlichen Kunde“, dass er „um Entfernteren die kostspielige Reise hieher zur Abschließung eines Contracts zu ersparen . . . den Kaufmann J. R. Möllmann bevollmächtigt“ habe, „solche Contracte . . . zu den auf Billigkeit gegründeten und festen Passagepreisen für die durch mich zu expedirenden Schiffe nach Amerika abzuschließen“. Am 6. März 1833 bot er z. B. „folgende Bremische Schiffe“ an: „Nach Baltimore Schiff Johannes, Capt. H. Sengstacke, am 10. März. Schiff Daphne, Capt. B. Peterßen, Mitte April. Schiff Jupiter, Capt. J. H. Mandels, Ende April. Nach New York: Schiff Virginia, Capt. J. H. Harmßen, am 15. März. Schiff Constitution, Capt. Fr. Volkmann, am 15. April. Schiff New York, Capt. J. Wächter, am 1. Junius”. Die Passagepreise betrugen 32 bis 40 Thaler für Erwachsene, inklusive der seit Oktober 1832 verbindlichen Verpflegung. (Osnabrückische Öffentliche Anzeigen vom 6. Februar, 27. Februar, 6. März und 24. April 1833 und vom 19. Februar 1834)   -   In einer dreiseitigen Auflistung einiger Ausgaben von 1835-1842 hat „Liwwät“ als Reisekosten für „Natz“ von Bieste bis Ohio $ 41.00 und für sich von Bremen bis Cincinnati $ 53.00 eingetragen („Money Changing; Accounts“; 61). - Vgl. auch Rolf Engelsing: Bremen als Auswandererhafen 1683 - 1880. Bremen: Schünemann 1961, 131 - 167. . . - . . .Am 11. Januar 1833 schrieben die Makler Westhoff & Meier in den „Oldenburgische(n) Anzeigen“ in ihren „Nachrichten für Auswanderer nach Amerika“, dass „wir bei wiedereröffneter Schiffahrt vom 1. März d. J. an bis auf weitere Anzeige alle. . . Zwischendeckpassagiere . . . , welche bey Ankunft in Bremen uns das Überfahrtsgeld und die Abgabe in America bezahlen, selbst ohne vorherige Anmeldung, sofort in der Nähe der Rhede umsonst beköstigen und logiren . . . und jedes Mal mit einem der nächsten Schiffe nach Baltimore oder New York befördern werden“. Das gelte auch für angemeldete Reisende, die sich „nach unserer Aufforderung zum Eintreffen hier pünktlich einstellen und nicht andern Tages fortkommen. Die Passagiere . . . sparen die Zehrungskosten, welches manchem früher langen Aufenthalt, bey öfterem Mangel an Schiffsgelegenheit, verursachte“ (Der Transport mit dem Weserkahn von Bremen nach Bremerhaven zum seetüchtigen Segelschiff gehörte zu diesem Angebot.). Für „Liwwät“ war es zwei Jahre lang selbstverständlich, ihrem „Natz“, der, laut ihren Angaben, 1833 ausgewandert war, nach Ohio zu folgen. Bis 1835 dürfte sie  in Bieste, auch durch Briefe bereits Ausgewanderter, genug erfahren haben über Reisebedingungen und Agenturen der Makler. Letztere gab es im ca. 15 km entfernten hannoverschen Bramsche, aber auch im Großherzogtum Oldenburg, z. B. in Damme (10 km), zu dessen Amt die Bauerschaft Bieste in der Gemeinde Neuenkirchen gehörte. „Liwwät“ dürfte das unangemeldete „kiur(en) mit den verschiedene Schiffenrentmeister“ erspart geblieben sein.   -   Vermutlich sind mit „Schiffenrentmeister“ nicht Kapitäne, sondern Schiffsmakler gemeint (Die eigenwillige Wortbildung bietet Google nur in Bezug auf dieses hier in diesem Aufsatz verwendete „Liwwät“-Zitat an.). Eine „Renteney“ ist „eine Anstalt, in welcher obrigkeitliche Renten eingenommen werden“, und ein „Rentmeister“ ist „derjenige, welcher einer Rentey vorgesetzt ist“ (Johann Christoph Abelung, Hg.: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Band 3. Leipzig: Breitkopf 1798, 1088). Um die Mitte des 19. Jahrhunderts ist das „Rentamt . . . eine Behörde, welche die Einnahme und Berechnung herrschaftlicher und landesherrlicher Renten und Gefälle zu besorgen hat“, geleitet vom „Rentmeister“ (Heinrich August Pierer, Hg.: Universallexikon der Gegenwart und Vergangenheit oder neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe. Band 14. Altenburg: Pierer 1862, 46; 4. Auflage). Das deutsche Wort „Rente” stammt aus dem Französischen und meint „ein regelmäßiges Einkommen aus Vermögen oder rechtlichen Ansprüchen“ (Duden, 24. Auflage, Band 1: Mannheim: Dudenverlag 2006). Es entspricht in seiner Bedeutung nicht dem englischen „rent“ (Miete, Pacht, mieten, vermieten, pachten, verpachten). An die englische Bedeutung dürfte man bei der Wortbildung „Schiffenrentmeister“ gedacht haben.

[16] Der Reisebericht von Gottlieb Mittelberger ist vollständig im Internet zugänglich (http://books.google.de): Gottlieb Mittelbergers Reise nach Pennsylvanien im Jahre 1750. und Rückreise nach Teutschland im Jahre 1754. Enthaltend nicht nur eine Beschreibung  des Landes und seinem gegenwärtigen Zustande, sondern auch eine ausführliche Nachricht von den unglükseligen und betrübten Umständen der meisten Teutschen, die in dieses Land gezogen sind, und dahin ziehen. Stuttgard, gedruckt bey Gottlieb Friderich Jenisch, 1756 (und im selben Jahr in Frankfurt und Leipzig). Eine deutschsprachige Neuauflage: Gottlieb Mittelberger: Reise nach Pennsylvanien im Jahre 1750 und Rückreise nach Deutschland im Jahre 1754. Sigmaringen: Thorbecke 1997. Eine englischsprachige Neuauflage: Gottlieb Mittelberger: Gottlieb Mittelberger’s Journey to Pennsylvania in the Year 1750 and Return to Germany in the Year 1754. Whitefish, MT: Kessinger Publishing 2008. - Man darf nahezu sicher sein, dass die reale Liwwät Böke diesen Reisebericht aus dem Jahre 1756 nicht gekannt hat. - Zum für die Betroffenen nicht nur nachteiligen Redemptioner-System (indentured servitude) vgl. Günter Moltmann (Hg.): Aufbruch in die Fremde. Die Auswanderungswelle von 1816/17. Stuttgart: Metzler 1989, 29-33, 318-334; Hans-Jürgen Grabbe: Vor der großen Flut. Die europäische Migration in die Vereinigten Staaten von Amerika 1730-1820. Stuttgart: Steiner 2001, 333-364; Kenneth Morgan: Slavery and Servitude in Colonial North America. A Short History. New York: New York University Press 2001; Ran Abramitzky / Fabio Braggen: Migration and Human Capital. Self-Selection and Indentured Servants to the Americas. In: Journal of Economic History 66(2006)4, 882-905.   -  Vgl. auch Paul S. Boyer (et al.): The Enduring Vision. A History of the American People. Lexington, MA: Heath and Company 1990, 100-102, 353, und Ulrich Maier: Auf nach Neu-Schottland! Heilbronner Werbeschrift für Auswanderer aus dem Jahr 1751. In: Archiv-Nachrichten. Herausgegeben von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg (2001)22, 7/8 (www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/25/QB_22.pdf).

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Forschungsstelle Deutsche Auswanderer in den USA - DAUSA * Prof.(pens.) Dr. Antonius Holtmann Brüderstraße 21 a -26188 Edewecht - Friedrichsfehn *Kontakt: antonius.holtmann@ewetel.net