Antonius Holtmann: | Kein Meisterstück oder: Wie "Liwwät Böke" mit fremden Federn geschmückt wurde .... |
Auch
diesen Brief mit Details zu niederdeutschen Sprachvarianten soll
"Liwwät" 1847 an den Bischof Purcell von Cincinnati geschrieben haben,
ein Plädoyer fürs Plattdeutsche als Gebets- und Predigtsprache in der
Kirche. Im Archiv der Diözese von Cincinnati habe ich ihn nicht
gefunden.
Luke Knapke
hat diesen Text (17 Seiten) nicht ins Buch
aufgenommen, aber dort aufgelistet (195).
„Mir
gereicht es zur Freude, durch vielen jahrelange Beziehungen zu allen
Leute und wiederholte gemeinsame Besprechungen des Planes ein wenig zur
Gestaltung unser Bücher beigetragen zu haben: der ungelehrt und
unwissend ist unwurdig Kritik, mit größen Mund, mit heidnisch Haß in
siener Schweizerische Mundart. dieser kirchlicher zwei wient heute,
möglicherwiese, je, in den zukunftig Jahren hier in Maria Stien Kloster
und anneren Kostbaren Blut Priester-Seminars sind herrenlosen
Eigentumen - verlassen! Und so tragen wir
völlig die Verantwortung für die hier in unser Platt Gebetschriebung
endgültig gebotene sprachliche Gestaltung des Textes und all der
Eigenarten und Neuerungen unser Orthographie; wahrend die Ich die
gesamte inhaltliche Gestaltung verantwortet. Besondere Sorge ist einer
natürlichen allgemein leicht fasslichen Sprech- und Schreibweise
gewidmet worden. Jegliche Neuerung und Abweichung von der bisherigen
niederdeutschen Orthographie ist einzig aus Rücksicht auf möglichst
große Lauttreue, wie sie einem Sprachdenkmal gebührt, nach reiflicher
Überlegung eines jeden Für und Wider in unser Form durchgeführt worden.
Nicht unerwähnt mag bleiben, daß vorläufig noch von einer Reihe anderer
tiefgreifender Neuerungen in der Schreibweise die sich aus
wissenschaftlichen und ästhetischen Rücksichten empfahl, abgesehen
wurde, um dem allzu sehr unter dem Bann der hochdeutschen historischen
Orthographie stehenden Durchschnittleser die Gewöhnung nicht über mäßig
zu erschweren.“
Dann geht
falsches Deutsch unvermittelt in gelungene
Wissenschaftssprache über:
„Alle Texte un Schreiben wir brauchen hier in Saon Jaon aohne Priester sind in der niederdeutschen von Damme, Bieste gegeben, dessen ist die miestens hier ihr Hiemat, südlich in Oldenburg, je wie auch in Epe ist, d.i. südlich von Gronau an der westfälisch-holländischen Grenze. Unser Mundart gehört zu der Westfälischen Gruppe (des) wie Westmünsterlandischen, das die westliche Vermittelung bildet zwischen dem Echtwestfälischen (Kerngebiet um Tecklenburg-Osnabrück-Münster) und dem Frankisch-Westfälischen, d.h. im besonderen dem Geldersch-Ouverysselschen als einem Teil des Niedersächsischen in Holland (Kerngebiet um Dewenter-Lochem-Oldenzaal).(22a) ... Wenn auch dem sprachlich Interessierten die Texte unser Schriebung hier in Amerika jetz eine genügende Charakteristik des Westmünsterländischen bieten, so ist es hier doch nicht überflüssig, einige Besonderheiten der Platt Mundart hervorzuheben.“
So auch in diesem Textauszug:
„Zur
Wortwahl ist zu bemerken, alle Priester, Brueder, Schwester, un
besonders den Liebling des Brunners (blint sint wi nich) die Oberin
Albreiht daß hier in Amerika und auch in Deutschland, daß es bei den
seit Jahrhunderten innigen Beziehungen des Plattduutsk zu der
Hochdeutschen Schwestersprache selbstverständlich ist un war, das
vereinzelt hochdeutsche Lehnformen in unseren Texten Gebrauch die
ersten 10 – 12 Jahren hier im Wald, ohne Priester wören nicht
Teufel-Sprache, wie der Brunner saggt, ne! Un die Texten erschienen,
aber ihre Zahl ist überraschend gering (vgl. Geist, Seele, Geheimnis,
Frucht, Heil, Ehe, Natur, Schöpfung, senden. beleidigen), ihr
Ehrscheinen ist ebensowenig völlig zu vermeiden wie das der Lehnwörter
aus dem Romanischen, Holländischen u. a.“
Und in diesem:
„Überall,
siet 1835, haben wir durch möglichst einfache Schriftbilder eine
lautgetreue (nicht liturgisch) Sprachwiedergabe angestrebt, die nicht
nur dem dem Oldenburger-Munsterlandes und dem Westfalen, sondern auch
dem Nordniedersachsen und auch Süddeutschen, mit geduld, verständlich
ist hier im Gemiende; und wir haben uns bemüht damit eine Wortwahl zu
verbinden, die gerade bei ihrer Bodenständigkeit der hohen Aufgabe
gereicht zu werden vermag, den Plattdeutschen zur Andacht und
Herzenserhebung zu Stimmen.“
"Es braucht
für den
wissenschaftlich Interessierten wohl nicht besonders hervorgehoben
werden, daß
diese Zeichen nur gan(s)z in allgemeinen eine Vorstellung von der
Eigenart
dieser Zwielaute geben können, sozusagen an einen ...“zerquetschen“
Laut
erinnern, dessen Anfang enger gebildet ist als der Ausgang, dessen
zweiter Teil
wohl schallvoller ist, aber nicht stärker betont als der erste. In der
Regel
stehen sie unter einem stark geschnittenen Silbenaccent, d.h. sie haben
festen
Anschluß an den folgenden Mitlaut.“
Auch
dieser Text enthält einen verdächtigen Satz: „Es
sind diese Eigentümlichkeiten, die auf die Nachbarschaft im Norden
und jenseits der deutschen Reichsgrenze hinweisen“. – Das
Heilige Römische
Reich Deutscher Nation gab es seit 1806 nicht mehr, dafür einen
Deutschen Bund
seit 1815, einen Norddeutschen Bund seit 1866 und ein Deutsches Reich
erst seit
1871.
Auf die Einleitung zu einer Antologie verweisen die folgenden Stellen, die nicht in
einen Brief an den Bischof passen, der dafür sorgen soll, dass der heimische
Pastor sich nicht mehr gegen das Plattdeutsch in der Kirche sperrt. Was sollen in einem Brief an einen des Niederdeutschen
nicht mächtigen irischen Bischof sprachwissenschaftliche Ausführungen zum
Plattdeutschen in Damme und Epe bewirken, und was haben hier editorische
Überlegungen in Bezug auf wissenschaftlich Interessierte und in Bezug auf
Durchschnittsleser, denen die Lektüre angesprochener Texte nicht übermäßig erschwert
werden soll, zu suchen!
„ . . . nicht
unerwähnt mag bleiben, daß vorläufig noch von einer Reihe anderer tiefgreifender
Neuerungen in der Schreibweise, die sich aus wissenschaftlichen und
ästhetischen Rücksichten empfahl, abgesehen wurde, um dem allzu sehr unter dem
Banne der hochdeutschen historischen Orthographie stehenden (durch)
durchschnittleser die Gewöhnung nicht übermäßig zu erschweren.“
„Es ist vorläufig
nicht der Wechsel d:t durchgeführt (mit Rücksicht auf den Durchschnittsleser,
den vielleicht die neuartige phonetische Schriebung stören könnte), es steht
also das im Inlaut eines Wortes gebrauchte Zeichen d auch im Auslaut dieses
Wortes, wo es dann natürlich nach fester Regel stimmlose Geltung hat.“
„Wo in vereinzelten
Fällen ein treffendes gehobenes Wort der eigenen Mundart fehlte, eine
Nachbarmundart aber guten Ersatz bot, ist auf diese Hilfe in den verschwindend
wenigen Fällen nicht verzichtet worden.“
Und dann abschließend:
„Und so, Herr Bischof Purcell, nicht unser Klagen, aber, denn in der Scwelle
des unserer Römisch-katholischen Kirche mögest allen hier in den Wald
hinausgehen in die Welt, um Segen zu stiften in den Seelen unserer
Stammesbrüder Erinnern auch all die Plattduutsken Niedersachsen und mit
Hoffnung die Hochdeutschen, die fern von ihrer Heimat sich nach unserer Sprache
Schönheit sehnen, an unser heißes Bemühen um die Hebung unserer Muttersprache.
Wir danken Sie Herr Bischof die Leute ‚Saon Joan’
Liwwät Böke Schrieber 1847.“
Es kann sich bei diesem Brief nur um eine
Fälschung und zum Teil um ein Plagiat handeln.
[22a] Diese Einteilung der westfälischen Dialekte hat vor allem durch einen Lexikonartikel des Germanisten und Phonetikers Otto Bremer (1862-1936) aus dem Jahre 1893 in die Mundartforschung Eingang gefunden (Otto Bremer: Deutsche Mundarten. In: Brockhaus’ Konversations-Lexikon. 14. Auflage. Band 5. Leipzig: Brockhaus 1893, 27-35). „Liwwät“ benutzte die dort erstmals einer breiteren bürgerlichen Öffentlichkeit zugänglich gemachte wissenschaftliche Begrifflichkeit „Echtwestfälisch“ (Tecklenburg-Osnabrück-Münster) und „Fränkisch-Westfälisch“ (Overyssel). Sie waren um 1847 gewiss nicht den (klein-) bäuerlichen Siedlern in Ohios nordwestlichen Wäldern vertraut. (Hinweis von Dr. Markus Denkler, Leiter der Kommission für Mundart- und Namenforschung Westfalens des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe.)
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