Antonius Holtmann: | Kein Meisterstück oder: Wie "Liwwät Böke" mit fremden Federn geschmückt wurde .... |
German Poetry
Luke Knapke hat die
“German Poetry” nicht ins Buch aufgenommen. 1824 -1830 seien die Texte von
Liwwät Böke aus familiären Bücherbeständen des 16. und 17. Jahrhunderts
abgeschrieben und auch von ihr ins Hochdeutsch des frühen 19. Jahrhunderts
übertragen worden.
Es handelt sich bei dem „Getellsel“ (S. 1) um eine Fälschung
und um ein Plagiat: Der Text wurde der realen Liwwät zugeschrieben und den von
Walther Killy im 20. Jahrhundert veröffentlichten „Epochen der deutschen Lyrik“
(1969) entnommen(28a) , ca. 150 Jahre, nachdem die reale Liwwät ihre Abschreibe- und
Übersetzungs-Aktivitäten begonnen haben soll.
74 religiöse, zumeist aber spätmittelalterliche Liebes-Lyrik
hat man ausgewählt. Nur für 9 Gedichte konnte keine Quelle nachgewiesen werden.
Man hat die Zeilennummerierung der Vorlage weitgehend
übernommen, auch das Schriftbild, zuweilen aber auch Texte, die sich dem
Frühneuhochdeutschen annähern, mit dem Plattdeutschen durchsetzt.
Die Übertragungen ins Neuhochdeutsche wurden aus Walther
Killys Edition übernommen in der es heißt: „Es „wurde eine möglichst konsequent
neuhochdeutsche Prosaumsetzung gewählt, die keinerlei poetischen Anspruch
erhebt und auf ‚Eleganz’ eher verzichtet als auf Entsprechung zum Text.“
Beispielhaft sei ein Gedicht eines unbekannten Verfassers
(1420-1440) herausgegriffen (Killy, Band 2, S. 223):
Original
„Ein haubt von peham lant
und zwai ermlein von prauant
und zwai prustlein von swaben her,
dy ragen als ain sper,
und ein pauch von osterreich,
der ist gancs schlecht und gleich.
und ain ars von polon
unnd ein pairische fuet dar an
und czwen fus van demrein –
das mocht wol ein hubsche junffraw sein.“
Neuhochdeutsche Übertragung
„Ein Köpfchen aus Böhmerland und zwei weiße Ärmchen aus
Brabant und zwei Brüstchen aus Schwaben, die wie Speerspitzen hervorragen, und
ein Bauch aus Österreich, der ganz glatt und eben ist, und ein Hintern aus
Polen und ein bayerisches Pfläumchen daran und zwei Füße vom Rhein - das
könnte ein prächtiges Mädchen ergeben.“
Verändertes Original
„Een Koppken (unbekannten erfasser) (um 1440-50)
Een Koppken von Bramske Lant
un tween witte Armken von Brabrant
un tween Brustlin von ut Vechten
dy ragen äs een Speer ut stiächen –
un een Baulch ut Monsterriick -
de gans glatt un gliik is.
Un een äis friesenlon
Un een Soeten Plomken foden an
Un tween Föeten von de Weser
Ja, mong wolle en hüpske jungfro wein.“
Verändertes Neuhochdeutsch
„Ein Köpfchen aus Bramsche land und
zwei weiße Ärmchen aus Brabrant
und zwei Brüschen aus Vechta –
die wie Speerspitzen hervorragan
und ein Bauch aus Munsterland
der ganz glatt und eben ist,
und ein Hintern aus Friesenland
und ein sussen Pfläumchen daran
und zwei Fuße van de Weser.
Ja, das konnte wal ein prächtiges Mädchen ergeben.
Liwwät“
„Liwwät“ hat ihre vom Plattdeutschen durchsetzten und auf
das Oldenburger Münsterland (nebst dem Osnabrücker Land) regionalisierten
Abschriften in sehr unzulänglichem Plattdeutsch kommentiert: „Dut Vertellsel
Rymelsel is all an dusse Siete von
anfang in dat aolle Platt Schriff un unner heff ik et aower sriewen in dat
hauchduitsk, so dat de Kloke Lüe et ok liassen kann. Dore sint ok Lu wecke segg’t
wenn se dut so ene Läsung häft, wi slecht un schämlik de Welt is vandage. ik
segge yi de Welt und de Lu sint immer Lu, mäkt nuh ut of heude, tween Hunnert
Jaohr trugge un ok so in twee dusend. Wi sint wat wi sint -
mensken.“
Das Original ist keineswegs „in dat aolle Platt Schriff“,
sondern schon in der neuhochdeutschen Sprache geschrieben worden. Und die
Übertragung ins Neuhochdeutsche entspricht, abgesehen von der „erneuerten“
Regionalisierung, der in Walther Killys Edition enthaltenen Übersetzung. Die
sprachlichen und lokalen Veränderungen sollen die heimatliche Herkunft des
Textes und „Liwwäts“ Autorschaft unterstreichen: Aus Böhmen wird Bramsche, aus
Schwaben wird Vechta, aus Österreich das Münsterland, aus Polen Friesland, und
aus dem Rhein wird die Weser.
Prayers for Children
Luke Knapke hat die „Prayers for Children“ nicht ins Buch
aufgenommen. Das sind 64 Seiten mit plattdeutsch geschriebenen katholischen
Gebets- und Messtexten, darunter auch ein Beichtspiegel (S. 65-69). Der
entlarvt auch diesen Text als gefälscht und plagiiert: „Johannes Tauler
(1300-1361) - för seishunnert Jaohr häs du dussen
Bichtspiegel schrieven - dien Tiid gaf’t noag kein Tingeltangel, kein
Kino un wat weit ik. Dor wöär noch nich as vandage de Sundagsfier met Beer un
Wien beganen. Dor kledden de Wichter sich noag anstännig, dat daorum nie/nums
van de Kommunionbank bruukt trugwiest to wöeren. Do höerden de Kinner kinne
noag up iähre Äöllern un driewen sich bis de Nacht herüm. Dar gaf’t noch kinne
slechten Böke un Tidungen.“
Vor 600 Jahren habe Johannes Tauler „dussen Bichtspiegel“
geschrieben. Also müsste Liwwät Böke ihren Text um die Mitte des 20.
Jahrhunderts geschrieben haben. Es ist der Zeitraum, in dem all diese
Plagiate produziert worden sind. Da hat die fälschende Person sich dann
doch noch unbedacht selbst entlarvt. „Tingeltangel“ und „Kino“
sichern diesen Befund ab: Mit Tingeltangel werden erst seit Mitte der
1870er Jahre abwertend Revue und billiges Tanzvergnügen (1903 hat
Heinrich Zille ein volkstümliches „Tingeltangel“ graphisch
festgehalten.) bezeichnet. Und erst im Jahre 1894 wurde in New York ein
Film vorgeführt. Einige Jahre danach wurde aus Kinomatograph Kientopp
und schließlich Kino.
Alles Übrige, in identischer Handschrift, gerät dadurch
ebenfalls in Verdacht, gefälscht und plagiiert zu sein; auch dieser Text ist
kein Meisterstück.
„Liwwäts“
Handschrift: last but not least
Die Sachanalyse der Texte und Abbildungen sollte zunächst im
Vordergrund stehen angesichts des frühen Plagiatverdachts, selbst wenn die
Schrift immer auch verdächtig erschien.
Schon die deutsche Schreibschrift der Manuskripte entlarvt
Luke Knapkes Edition als Fälschung.
Nur selten kommt es vor, dass sich die Schriftzüge eines
Menschen vom 12. bis zum 70. Lebensjahr nicht verändern; bei „Liwwät“ verändern
sie sich nicht. Es hätte Luke Knapke bei seiner Durchsicht des Materials ein
wenig irritieren können.
Dass „Liwwät“ die Sütterlinschrift benutzt, hätte ihm
auffallen können, wenn er die Manuskripte mit in deutscher Schreibschrift
geschriebenen Texten aus dem 19. Jahrhundert verglichen hätte, z. B. in
Kirchenbüchern in Minster/Ohio oder in Briefen. Der Brief des Johann Heinrich
zur Oeveste aus Rieste (Vergl. die Edition seiner Briefe auf dieser Webside.) belegt,
welche Schrift zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Schulen von Neuenkirchen
und Bramsche, von Bieste und Rieste gelehrt und gelernt wurde. Es war die nach
rechts geneigte Kurrentschrift mit betonten Ober- und Unterlängen. Ludwig
Sütterlin verringerte 1911 die Längen und richtete die Buchstaben auf. 1915
führte man diese Sütterlinschrift in Preußen ein, 1935 in ganz Deutschland mit
leichter Schräglage und weniger Rundungen, bevor sie 1942 in den deutschen
Schulen verboten wurde.
„Liwwät“ benutzt von 1819 bis an ihr Lebensende (1881) die 1935 revidierte Sütterlinschrift.
![]() | "Plattdütsken
Katechismus" |
![]() | Auszug aus einem Brief des Auswanderers Johann Heinrich zur Oeveste (1834). |
[28a] Walther
Killy (Hg.): Epochen der deutschen Lyrik. Band 2: 1300-1500; Band 4: 1600-1700;
Band 5: 1700-1770. München: Deutscher
Taschenbuch Verlag 1969.
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