Antonius Holtmann:

Kein Meisterstück oder: Wie "Liwwät Böke" mit fremden Federn geschmückt wurde ....


Bilanz

Fälschungen und Plagiate sind zur Genüge nachgewiesen, um einen Fälschungsverdacht gegen alle Texte und Zeichnungen, die der Liwwät Böke zugeschrieben werden, zu erheben. 809 Seiten sollen zwischen ihrem 12. und 25. Lebensjahr entstanden sein (194), darunter die umfangreichen „Eigenproduktionen“ des Katechismus (276 Seiten), des Anfangs der Welt mit den Abbildungen zum Hausrat im Oldenburger Land (252 Seiten) und die Übertragung von ca. 70 Gedichten vom Mittelhochdeutschen ins heutige Hoch- und Plattdeutsch.

Das ist kaum glaubwürdig, wenn man bedenkt, dass Liwwät Böke (geb. Knapke) ihre Kindheit und Jugend auf einer Heuerstelle (Leibzucht) erlebt hat, im kleinen und engen Heuerhaus mit ein wenig Pachtland, wofür, jährlich neu vereinbart, Pachtgeld und Arbeitsleistung dem Bauern Bohne gegenüber erbracht werden mussten. Ihre Familie gehörte zu den landlosen Haushalten im Oldenburger Münsterland zu Beginn des 19. Jahrhunderts.(28b)    Welche Schule sie auch immer besuchte, ob in Lage, Bieste oder Neuenkirchen: Es war eine einklassige „überfüllte“ Volksschule, in der nur ein schlecht ausgebildeter Lehrer unterrichtete (Siehe oben „My Early Life“ und die Anm. 10 und 11).

Man darf es gar nicht glauben angesichts der vorliegenden Befunde, auch wenn die fiktive „Liwwät“ ihr Versteckspiel recht dreist, aber auch unvorsichtig zu spielen versucht. Da vermerkt sie, die Gedichte und deren plagiierte Übersetzungen annotierend, die klugen Lehrer in der Klosterschule zu Lage, darunter ein studierter Theologe, der die Universitäten in Mainz, Rom und Münster besucht habe, seien ihr behilflich gewesen. „Von muorn fro to bis midden nacht“ habe sie oft geschrieben und gezeichnet, vor allem in den 1820er Jahren, in denen sie Katechismus und Gedichte abgeschrieben und letztere auch übersetzt haben will. Mit 18 Jahren habe sie damit begonnen, 3440 Zeilen einer Weltgeschichte in Versen (Der Anfang der Welt / The Beginning of the World) in perfektem Hochdeutsch nicht abzuschreiben, sondern selbst zu verfassen.

Schlecht geschwindelt hat die fiktive „Liwwät“.

Die letzte Seite ihrer Gedichtsammlung enthält eine Anmerkung in „ihrer“ Schrift: „Ik frugge dat dat als gans waohr is, wat denkst Du?“   -   Dies mag auf des unbekannten Verfassers Loblied auf „fraw mynn“ (Frau Minne) gemünzt sein. Oder ist es doch das augenzwinkernde Eingeständnis , es mit der Wahrheit nicht so genau genommen zu haben?

Kein Meisterstück also, was Luke Knapke da aus Vincent Bökes Garagen-Fund ausgewählt und ins Englische übertragen hat.

Luke Knapke hat die Texte und Zeichnungen von Vincent Boeke (1910-1984) bekommen (191-193). In dessen Nachlass müsste nach Bildern und Büchern und nach den Originalen der Manuskripte gesucht werden, um ihn als Fälscher überführen zu können. Auch die Tatsache, dass Vincent Böke um 1980 das Oldenburger Münsterland bereist hat, lenkt den Fälschungs- und Plagiatverdacht auf ihn.

Es fällt auf, dass Vincent Böke den Herausgeber des Buches, Luke Knapke, die Übersetzungen vom Plattdeutschen und Hochdeutschen ins Englische hat anfertigen lassen. Wollte er, um die Originalität der Texte und Zeichnungen glaubwürdig erscheinen zu lassen, unterstreichen, dass er des Hoch- und Plattdeutschen nicht mächtig und er also weder der Fälscher noch der Plagiator sei? Hat Vincent Boeke Luke Knapke diesbezüglich nur benutzt? 

Wie dem auch sei: Die Texte könnten sich als durchaus nicht wertloses Material für die Erforschung des Plattdeutschen in Ohio erweisen.

Weiter: Exkurs


[28b] Vgl. Hinrichs/Krämer/Reinders: Die Wirtschaft des Landes Oldenburg in vorindustrieller Zeit. Eine regionalgeschichtliche Dokumentation für die Zeit von 1700 – 1850. Oldenburg: Holzberg 1988, 49-68 („Soziale Differenzierung“); Landkreis Vechta (Hg.): Schaufester Geschichte, Landkreis Vechta. Vechta: Eigenverlag 2000, 120-163 („Das Heuerlingswesen im Gebiet des Landkreises Vechta“. Autoren: Bölsker-Schlicht /Kessel); Rolf Weber: Zur Lage der Heuerleute in den Ämtern Vechta und Cloppenburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland 61(2012), 115-134; Jürgen Schlumbohm: Lebensläufe, Familien, Höfe. Die Bauern und Heuerleute des Osnabrückischen Kirchspiels Belm in protoindustrieller Zeit, 1650-1860. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht 1994, insbesondere Kapitel 7: „Höfe: Verbund bäuerlicher und landloser Haushalte“ (539-620). Vgl. auch www.technikatlas.de/~gb29/situation_heuerleute.htm.


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Forschungsstelle Deutsche Auswanderer in den USA - DAUSA * Prof.(pens.) Dr. Antonius Holtmann Brüderstraße 21 a -26188 Edewecht - Friedrichsfehn *Kontakt: antonius.holtmann@ewetel.net