Antonius Holtmann:

Kein Meisterstück oder: Wie "Liwwät Böke" mit fremden Federn geschmückt wurde ....



“Discussion and Information” (81-83)

Mit der Überschrift “Rede un Wiesmakerie” hat “Liwwät” diesen Text versehen: „Rede bi Saon Jaan August 25, 1844“ (LK: „Discussion at St. John“) und „Wiesmakerie naoto Ordinareit bi Cincinati, Biskop Purcell“ (LK: „Information for our ordinary at Cincinnati, Bishop Purcell“).

Schon der Sachverhalt irritiert: Im Archiv der Diözese von Cincinnati habe ich diesen Brief nicht gefunden.

Schon der Titel irritiert: „Weismachen“ und „Wiesmakerie“ meint im Hochdeutschen und im Plattdeutschen umgangssprachlich „belügen, etwas vormachen, (Unwahres) einreden“.

Schon die Sprache irritiert: Welche kluge katholische Frau schreibt in (unbeholfenem) Plattdeutsch an einen englisch sprechenden Bischof?

Schon der Hinweis irritiert: „een bitsken liärnt äs en jung wicht in de Dom Schole in Osnabrük“ (LK: „I was a bit educated as a young girl in the cathedral school in Osnabrück“).   -   Es gab keine Dom-Schule in Osnabrück.

Schon der Inhalt irritiert: Welche katholische Frau schreibt um die Mitte des 19. Jahrhunderts derart über eheliche Sexualität in einem Brief an ihren Bischof?

Der Text ist ein flammendes Plädoyer für unbekümmerte lustvolle eheliche Sexualität, ohne den Willen zum Kind (katholischer Sexualmoral bis ins 20. Jahrhundert hinein zuwider laufend) und eine Aufforderung an die katholischen Geistlichen: „Laot et tolaoten dat Se beide tosammen Geschlecht habben   -   for Spaß“ (LK: „let it be admitted that they both together have sex   -   for fun“).

„Liwwät“ hat diesen Satz unterstrichen: „Wi moet afgetrekken un weggenemmen kumplettig, ganslig van dem Wert di Geschlecht bringt un hählt in dat nüen Liaben into düssen Welt“.

Luke Knapke hat den Text zu übersetzen versucht: “We must not draw off and take away altogether from the value of sex which brings and carries new life into this world”.

Der Versuch einer interpretierenden Übertragung ins Hochdeutsche: „Wir müssen komplett und gänzlich der Sexualität diesen alleinigen Wert nehmen, nämlich dass sie neues Leben in diese Welt bringe und erhalte“. Oder anders gesagt: „Sexualität darf nicht nur mit dem Wert verbunden werden, neues Leben in diese Welt zu bringen und zu erhalten“.

Eine weitere Sequenz: „Geschlecht is alltiid in de rechte Jaohrs tiiden. Geschlecht iß den Tegen Saake een aöwwersterkene Drifft in beide Mann un Fro. Geschlechte Henten (?) ist gemakklig een Nautsaaklikkeit, swaor un effen unmueglik um to tegenstanden in een eegenardigen Liäben. Mann un Fro kamet to de Staaede in iähren Verwantschapp wann Gelost een annerer to anpakken in wilden Henher springen duorgaohens iähren Bewussenheid.’ Maaks nihts ut’, wat se doet, iähren Kleeder moet se aftrekken! Geschlecht is vliicht den eensigen Wiesen se bi eenanner tosammen, of maeglik.“ (LK: „Sex is always in the right season. Sex is the sign of an overpowering drive in both husband and wife. Sexual passion is beyond question an urgency, difficult and even impossible to resist in an individual`s life. Husband and wife come to this stage in their relationship when the desire to touch one another springs up wildly througout their consciousness. ‘It doesn`t matter’ what they are doing, they must get their clothes off! Sex is perhaps the only way they are together with one another.”).

Der Versuch einer interpretierenden Übertragung ins Hochdeutsche: „Sex ist allezeit in der richtigen (Jahres) Zeit. Sex ist im Gegenteil ein überstarker Trieb in beiden, Mann und Frau. Sexuelle  . . .  (?) ist  . . .  (?) eine Notwendigkeit, schwer und eben unmöglich, ihm zu widerstehen im Leben eines jeden Einzelnen. Mann und Frau kommen in das Stadium ihrer Beziehung, da die Lust, einander anzupacken, im wilden Hin und Her aufspringt und ihrer Vernunft durchgeht. ‚Es macht nichts’, was sie tun, ihre Kleider müssen sie ausziehen. Sex ist vielleicht die einzige Weise, beieinander zusammen zu sein, nach Möglichkeit.“


Weiter: „Tensions with Brunner“



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Forschungsstelle Deutsche Auswanderer in den USA - DAUSA * Prof.(pens.) Dr. Antonius Holtmann Brüderstraße 21 a -26188 Edewecht - Friedrichsfehn *Kontakt: antonius.holtmann@ewetel.net