"Restoration"


Ein Konflikt zwischen Kongress (Senat und Repräsentantenhaus) und Präsident hatte sich schon im Kriege abgezeichnet. Im Dezember 1863 hatte Abraham Lincoln den Südstaatlern (ausgenommen führende Politiker und Militärs, die persönlich Begnadigung zu erbitten hatten) Amnestie angeboten, sofern sie einen Eid auf Verfassung und die Sklaverei betreffende Gesetze und Verordnungen ablegten. Ein "handfester Kern" (Lincoln) von 10 % der Wahlberechtigten von 1860 sollte genügen, um über eine verfassungsgebende Versammlung legale, vom Präsidenten anzuerkennende Regierungen der Einzelstaaten zu bilden. Die Republikaner im Kongress stellten sich im Juli 1864 mit einem Gesetz dagegen: sie verlangten den Eid von 50 % der Wähler, das Wahlrecht nur für Personen, die "mit Bestimmtheit schwören konnten, die Rebellion nicht unterstützt" zu haben, und die ausdrückliche Abschaffung der Sklaverei. Der Präsident legte sein Veto ein: die Abschaffung der Sklaverei durch einen rechtsverbindlichen Beschluß des Kongresses unterstelle eine rechtmäßige Sezession der konföderierten Staaten von der Union. Präsident Lincoln ging davon aus, daß die Sezessionsbeschlüsse illegal gewesen seien,  die Südstaaten also weiterhin zur Union gehörten, sodaß ihnen das Recht zustehe, über die Sklaverei selbst zu befinden. Nur eine Ergänzung der Unionsverfassung, nicht aber ein Beschluß des Kongresses könne die Einzelstaaten in die Pflicht nehmen. Radikale Republikaner dagegen gingen davon aus, daß der Süden die Union verlassen habe, jetzt also "eroberte Provinz" sei. Die meisten Republikaner unterstellten zumindest, der Verrat durch Sezession habe die Südstaaten auf den Status von Territorien zurückfallen lassen und sie damit der Verfügungsgewalt des Kongresses unterstellt.
Diesen Rechtsansprüchen entsprachen politische Interessen. Präsident und Parlament wollten jeweils ihre eigenen Vorstellungen von "reconstruction" verwirklichen. Die Republikaner im Kongress wollten den Süden von Sklavenhalter-Gesellschaft und Plantagen-Wirtschaft (vgl. Anm. 97) befreien: "Das Fundament all seiner Institutionen ... muß beseitigt und neu gelegt werden, oder wir haben umsonst unser Gut und Blut zum Opfer gebracht" (Thaddeus Stevens); sie verlangten Rache, wenigstens aber Bestrafung und Umerziehung. Abraham Lincoln hatte in seiner letzten Rede (11. April 1865) eine zeitweilige und teilweise militärische Besetzung des Südens nicht ausgeschlossen, wollte aber möglichst schnell mit möglichst geringer Intervention die Union wiederherstellen. Bei seiner zweiten Amtseinführung (4. März 1865) hatte er zur Aussöhnung aufgerufen: "Niemandem sollten wir mit Groll, allen mit christlicher Bruderliebe begegnen ... Laßt uns die Wunden der Nation verbinden ... Laßt uns alles tun, für einen gerechten und dauerhaften Frieden".
Nach der Ermordung Abraham Lincolns (vgl. Anm. 174) wurde Vize-Präsident Andrew Johnson (1808-1875) als Präsident vereidigt. Er stammte aus North Carolina, wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, wurde Schneider, ging nach Tennessee, bildete sich mit Hilfe seiner Frau im Selbststudium, wurde Mitglied der Demokratischen Partei (vgl. Anm. 75), 1830 Bürgermeister, wenig später Mitglied des Staats-Parlaments, 1843 des Repräsentanten-Hauses, 1853 Gouverneur von Tennessee und 1857 Mitglied des Senats. Er verteidigte die Sklaverei ("Ich bete zu Gott, er möge jeder amerikanischen Familie einen Sklaven anvertrauen ..."), verurteilte aber die Sezession. Abraham Lincoln ernannte ihn 1862 als führenden Kriegs-Demokraten (vgl. Anm. 133) aus dem Süden, der sich als einziger südstaatlicher Senator auf die Seite des Nordens geschlagen hatte, zum Militärgouverneur des bereits besetzten Teils von Tennessee. 1865 erfüllte er Lincolns Bedingungen (auch die Abschaffung der Sklaverei) für die Rückkehr in die Union. Die Republikanische Partei hatte Andrew Johnson 1864 als Vize-Präsidenten nominiert, um den Demokraten im Norden Stimmen abzujagen. Er hatte sich im Wahlkampf als radikaler Befürworter der Union profiliert: "Verräter müssen bestraft werden".
Der Demokrat Andrew Johnson stieß seine Republikaner vor den Kopf. Sein Programm der "reconstruction" nannte er "restoration". Die Südstaaten waren für ihn, wie auch für Lincoln, nicht zu Territorien heruntergekommen, die zu neuen Staaten "umgebaut" werden mußten; sie hatten nur "rebelliert". Sie zu "restaurieren" war also Aufgabe des Präsidenten und nicht des Kongresses. Er nutzte die Zeit bis zu dessen erster Sitzungsperiode im Dezember 1865. Er akzentuierte Lincolns Programm: wer mehr als 20.000 Dollar besaß, verlor sein Wahlrecht, wie auch alle hohen Offiziere und führenden Politiker der Konföderation. Der Befürworter der weißen "family-farm" (wie J. H. zur Oeveste eine besaß) wollte den Einfluß der "Kapitalisten" des Nordostens zurückdrängen, vor allem aber die "aristokratische" Plantagenwirtschaft des Südens zerschlagen. Damit ist er gescheitert und in einen unerbittlichen Konflikt mit den Republikanern geraten: Am 7. September 1865 wurden nur noch wenige hundert Konföderierte von der allgemeinen Amnestie durch den Präsidenten ausgeschlossen; 13 500 hatte er schon vorher begnadigt. Viele führende Politiker und Militärs der ehemals konföderierten Staaten waren dort in politische Ämter gelangt; Andrew Johnson hatte diese rechtswidrigen Entscheidungen nicht aufgehoben.
Am 4. Dezember 1865 hatte er zur Eröffnung des Kongresses seine Bilanz gezogen: Die Sezession der Südstaaten sei "von Anfang an null und nichtig", eben nur eine "Rebellion", ihre Funktion nur "suspendiert, aber nicht zerstört" gewesen. Eine Militärverwaltung sei darum unzulässig: sie spreche den Südstaaten ihre ungebrochene Kontinuität ab. Es sei seine Pflicht als Präsident gewesen, "still und in fast unmerklichen Abstufungen die rechtmäßige Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung und der Staaten wiederherzustellen". Das sei gelungen: es gebe in den Südstaaten neue Legislativen und Exekutiven und funktionierende Einrichtungen der Union (Gericht, Zoll, Post), erleichtert auch durch ein "mit aller Vorsicht angewandtes ... Begnadigungsrecht, das ausschließlich der exekutiven Regierungsgewalt der Vereinigten Staaten" zustehe. Die Annahme der 13. Verfassungs-Ergänzung, d.h. die Abschaffung der Sklaverei "innerhalb unserer Grenzen auf ewige Zeiten" durch die ehemals konföderierten Staaten stehe bevor. Dies werde "die traurige Erinnerung an die Vergangenheit auslöschen". Jetzt sei es Sache des Senats und des Repräsentantenhauses, "über die Wahlen, den Eintritt und die Qualifikationen Ihrer eigenen Kollegen zu urteilen".
Die republikanische Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus verweigerte jedoch den Vertretern des Südens (unter ihnen hohe Offiziere und viele Mitglieder des Kongresses der ehemaligen Konföderation, auch deren Vizepräsident) Sitz und Stimme: ihre Namen wurden nicht verlesen. Der Kongress setzte einen "Rekonstruktions-Ausschuß" ein, der untersuchen sollte, ob den neuen Südstaaten eine Vertretung im Kongress zustehe (ohne einen Zeitpunkt für die Berichterstattung festzulegen). Am 18. Dezember 1865 hatte die Regierung die Annahme der 13. Verfassungsergänzung (Verbot der Sklaverei) durch die erforderliche Dreiviertelmehrheit der Staaten unter Einschluß des Südens festgestellt. Damit wurde indirekt den "Rebellen" die für die Zeit des Bürgerkrieges unterbrochene Funktion als Mitglieder der Union wieder zugesprochen. Am 2. März 1866 beschloß der Rekonstruktions-Ausschuß (ohne Bedingungen und Verfahren festzulegen), nur die Legislative (Kongress) und nicht die Exekutive (Präsident) habe das Recht, Vertreter der Südstaaten zur gesetzgebenden Gewalt der Union zuzulassen.
Der Konflikt wurde sofort manifest. Der Kongress hatte am 3. März 1865 ein "Büro" eingerichtet, das den Schwarzen bei ihren ersten freien Schritten helfen sollte ("Freedmen's Bureau"). Am 19. Februar 1866 beschloß er Verlängerung und Ausweitung der Kompetenzen dieser Behörde, um der alltäglichen und z. T. schon wieder gesetzlichen Unterdrückung und Benachteiligung von Schwarzen mit rechtsverbindlicher Amtsgewalt entgegentreten zu können. Präsident Johnson legte sein Veto ein: es sei verfassungswidrig, bundesstaatliche Gewalt in Staaten auszuüben, die nicht im Kongress vertreten seien, und die Schwarzen sollten jetzt "auf ihre eigenen Leistungen und Anstrengungen" vertrauen. Am 10. Juli 1866 überstimmte der Kongress das Veto mit der von der Verfassung geforderten Zweidrittel-Mehrheit. Das Veto des Präsidenten gegen das Bürgerrechtsgesetz vom 13. März hatte der Kongress schon am 9. April 1866 überstimmt. Es garantierte allen in den USA geborenen Menschen (außer den Indianern) die bürgerlichen Rechte (wozu nicht das Wahlrecht zählte, das z.B. auch Frauen noch nicht zustand). Präsident Andrew Johnson argumentierte, das Gesetz richte sich zugunsten der schwarzen gegen die weiße Rasse. - Der Kongress hatte der "restoration" des Präsidenten einen Riegel vorgeschoben. (Nachweise: Anm. 182)