J. H. zur Oeveste hatte in Rieste in einem niederdeutschen
Hallenhaus
gelebt, das Menschen und Tiere, Ernte und Arbeit unter einem Dach
miteinander
verband. Er wird wohl noch erlebt haben, daß drei Stuben mit Alkoven
und die Zugänge zu Keller und Boden durch Wände und Türen
vom Herdraum (Flett), der zur Diele (Deele) und zu den beidseitigen
Ställen
offen war, abgetrennt waren. 4 Pferdeställe, über denen sich
die Kammern der Knechte und Mägde, "Cloppenburg" genannt, befanden,
schlossen die Diele ab, von der das große Tor ins Freie führte.
Das Haus hatte vermutlich noch keinen Kamin (Rauchhaus): Wärme und
Rauch vom offenen Feuer konservierten Schinken und Wurst und trockneten
die Ernte auf dem fugenreichen Dachboden, und kein Funkenflug aus
zugigen
Schornsteinen konnte das Reetdach entzünden. Sollten schon Öfen
in den Stuben gestanden haben, so wurden sie vom Herdraum aus beheizt,
der auch den Rauch aufnahm. Die Innentemperatur im Herdraum lag nicht
mehr
als 4 - 6 Grad über der Außentemperatur, auf der Diele nur 2
- 3 Grad. Das offene Herdfeuer war der soziale Mittelpunkt des Hauses,
von dem aus Vieh und Personal und Kinder im Blick blieben, auch vom
Alkoven
des Bauern und der Bäuerin aus mit Hilfe einer Holzklappe. Mit dem
Einbau von Kamin und Schornstein und geschlossenem Herd setzte sich um
die Mitte des 19. Jahrhunderts die Trennwand zwischen Flett und Deele
durch,
um zu starke Zugluft zu vermeiden. Fachwerk, das mit Flechtwerk und
Lehm
gefüllt war, trug das Haus. Der Giebel mit dem Dielentor und dem
Giebelbalken
waren der repräsentative Schmuck des Hauses ("'n grauden Giewel ziert
datt Hus"; nddt. Redensart). Die Großeltern des J.H. zur Oeveste
hatten ihn 1760 erneuern und dies auf dem Torbogen "verewigen" lassen:
"Johann Hinrich Zur öveste Maria Adelheit Idings iso övestersche
Renovatum Den 8 May Anno 1760" (vgl. die Abb. auf S. 25). Das war eine
der um die Mitte des Jahrhunderts üblichen "Prestige-Innovationen",
denen die Obrigkeit entgegenhielt, man gehe dabei "mit unnöthiger
und zum völligen Ruin der ohnehin abgängigen Forsten gereichender
Verschwendung zu Werck" (Verordnung von 1767). Zum Erbwohnhaus gehörten
wohl schon Scheune, Speicher und Backhaus (später Remise und
Schweinestall)
... und die Heuer- oder Leibzucht-Häuser, in denen z.T. auch die Eltern
auf dem Altenteil saßen und (un)verheiratete Geschwister oder "Fremde"
als Heuerleute wohnten. Louise Regina Geist ist in einem solchen Haus
aufgewachsen.
Es waren kleine Hallen- und Rauchhäuser mit zwei Wohnräumen mit
je zwei kurzen Alkoven, unter denen Lebensmittel lagerten. Oft war noch
ein Webstuhl aufgestellt. Flett und Diele waren kurz, die Ställe
reichten
höchstens für zwei Schweine und Kühe. Die Decke war niedrig,
der Rauch der Enge wegen den Menschen lästig, der Boden häufig
aus Lehm, auch im Flett und in den Stuben. In einem Heuerhaus wohnten
nicht
selten zwei Familien.
"Leidlich korrekt" nannte der englische Sozialreformer Thomas
Hodskin
1820 die satirische Beschreibung westfälischer Bauernhäuser durch
Voltaire (1750): "In großen Hütten, die man Häuser nennt,
lebt eine Art von Tieren, die man Menschen nennt, in dem herzlichsten
Beiein-ander
mit anderen Haustieren". (Nachweise: Anm. 74)