Andrew Johnson war als Vize-Präsident unter Abraham Lincoln
nach
dessen Ermordung Präsident der Vereinigten Staaten geworden (vgl.
die Anm. 174 und 182). Die Republikaner hatten im März 1867 mit ihrer
Zweidrittel-Mehrheit im Kongreß seine "restoration" beendet, dem
Süden die eigene "reconstruction" auferlegt und Andrew Johnson zur
Durchführung dieses Programms gezwungen (vgl. Anm. 190). Zur gleichen
Zeit verschob die Legislative per Gesetzgebung die Machtverhältnisse
zu ihren Gunsten: sie berief sich selbst zu Sondersitzungen schon vor
Dezember
(dem Beginn der neuen Sitzungsperiode unter dem neuen Präsidenten)
ein, um dem Präsidenten nicht das Jahr über in Washington
unkontrolliert
regieren zu lassen (22. Januar 1867). Im März 1867 beschloß
der Kongreß neue Gesetze: militärische Befehle des Präsidenten
und des Kriegsministers mußten jetzt durch den Befehlshaber der Armee
("General of the Army"), der nur mit Zustimmung des Senats entlassen
oder
versetzt werden durfte, erlassen werden. Zivile Amtsinhaber, deren
Ernennung
die Zustimmung des Senats erforderte, durften nur noch entlassen
werden,
wenn ein Nachfolger vom Präsidenten vorgeschlagen und vom Senat
akzeptiert
wurde; andernfalls mußte der Vorgänger im Amt bleiben (Tenure
of Office Act = Amtszeit-Gesetz).
Schon am 7. Januar 1867 hatte das Repräsentantenhaus einen
Ausschuß
beauftragt, die Amtsführung des Präsidenten zu untersuchen. Mit
5 : 4 Stimmen beschloß er am 3. Juni 1867, ihn nicht unter Amtsanklage
zu stellen. Die auch mit Hilfe eines Detektivbüros zusammengetragenen
Beschuldigungen (illegale Rückgabe von Besitz an "Rebellen",
Gnadenerweise
gegenüber Landesverrätern, Mißbrauch des Veto-Rechts, Verwicklung
in die Ermordung Abraham Lincolns) hatten die knappe Mehrheit nicht
hinreichend
überzeugt. Nach dem jährlichen Rechenschaftsbericht des Präsidenten
vor dem Kongreß (2. Dezember 1867) schlug der Ausschuß mit
5 : 4 Stimmen erfolglos eine Anklage wegen "Amtsanmaßung" vor: das
Repräsentantenhaus lehnte sie am 7. Dezember 1867 mit 57 : 108 Stimmen
ab.
Am 24. Februar 1868 waren die radikalen Republikaner
erfolgreich. Mit
126 : 47 Stimmen beschloß das Repräsentantenhaus, Andrew Johnson,
Präsident der Vereinigten Staaten, "wegen schwerer Verbrechen und
Amtsvergehen anzuklagen" (Art. II.4 der Verfassung), mit dem Ziel, ihn
seines Amtes zu entheben.
Andrew Johnson habe "den Fehdehandschuh hingeworfen", sagten
nun auch
gemäßigte Republikaner. Der Präsident hatte am 21. Februar
1868 seinen "radikalen" Verteidigungsminister Edwin M. Stanton
entlassen
und weder dafür noch für den von ihm vorgeschlagenen Nachfolger
General Thomas die Zustimmung des Senats erhalten. Stanton
verbarrikadierte
sich im Amt, und General Thomas soll mit Hilfe einer Flasche Whiskey
der
Rückzug erleichtert worden sein.
Der Prozeß begann am 5. März 1868. Der Senat hatte das Urteil
zu sprechen, ein Oberster Richter die Verhandlungen zu leiten, und 7
Mitglieder
des Repräsentantenhauses waren die Ankläger: Andrew Johnson habe
im Fall Stanton/Thomas gesetzwidrig gehandelt, den Kongreß als
Rumpfparlament
bezeichnet, also die Legalität seiner Beschlüsse in Frage gestellt,
ihn im Rahmen unwürdiger präsidialer Amtsführung verachtet
und lächerlich gemacht und die Übereinstimmung und Höflichkeit
mißachtet, die zwischen Exekutive und Legislative bestehen sollte.
Untauglichkeit für das Amt des Präsidenten wollte die Anklage
vom Senat bestätigt haben.
Die Ankläger wollten eine politische Entscheidung, nicht aber
eine strafrechtliche. Senat und Oberster Richter arbeiteten aber als
ordentliches
Gericht. Darauf wies die Verteidigung hin. Die Anklage gegen den
Präsidenten
als politisches Instrument zu benutzen verlagere die Gewichte
verfassungswidrig
zur Legislative hin. Es sei keineswegs ein "Verbrechen", das
"Amtsdauer-Gesetz"
nicht zu befolgen, um es vom Obersten Gericht überprüfen zu lassen.
Am 16. und 26. Mai 1868 stimmte der Senat mit 35 : 19 Stimmen
für
die Verurteilung, d.h. eine Stimme fehlte an der erforderlichen
Zweidrittelmehrheit.
12 Demokraten und 7 Republikaner hatten dagegen gestimmt. Letztere
wußten,
daß ihre politische Karriere damit zunächst einmal beendet war.
Im Konflikt um "restoration" und "reconstruction" waren
Provokationen
des Präsidenten und Leidenschaften im Kongreß aufeinandergestoßen.
Andrew Johnson starb am 31. Juli 1875. Im März 1875 hatte er noch
einmal im Senat die "reconstruction" verurteilt und ausgerufen: "Gott
rette
die Verfassung!". Ein Exemplar wurde ihm mit ins Grab gegeben. 1926
wurde
ihm recht gegeben; das Oberste Gericht erklärte das Amtszeit-Gesetz
(Tenure of Office Act) für verfassungswidrig. (Nachweise: Anm. 193)