Protokollbuch
der Deutschen
Evangelischen Lutherischen St Johannis Gemeinde am White Creek,
Bartholomew County, Indiana.
(heute:
Saint Johns Lutheran Church,
Columbus, IN)
von
Harro Eichhorn (Hrsg.)
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Die
Kirche in ihren Anfängen (Bild: Familie Suelter, Lincoln/Kansas) |
Vorbemerkung
Deutsche
Auswanderer schufen sich in der neuen Heimat durch harte Arbeit eine
eigene Lebenswelt. Sichtbarer Ausdruck dieser Lebenswelt war ihre
Kirchengemeinde. Diese begleitete und betreute ihre Mitglieder von
Beginn an bis zum Ende. Die neu Eingewanderten, die sich ihr aus freiem
Willen anschlossen, sowie den in sie Hineingeborenen sollte sie durch
die Fährnisse des Lebens tragen: eine Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit.
Die Gemeinde konnte dem Einzelnen Halt und Richtung in der Bewältigung
von individuellen Befindlichkeiten geben und dieser konnte es
zurückgeben in Form von persönlichem Einsatz für das Wohl der
Gemeinschaft.
In
der Kirchengemeinde wurde das
alltägliche Miteinander der Gemeindemitglieder durch eine selbst
gelegte Basis, ein eigenes „Grundgesetz“ koordiniert: die
Gemeindeordnung oder Constitution.
[1]
Diese wurde im Laufe
der
Zeit den äußeren Bedingungen angepasst und an ihr hatte sich jede
Gemeinde und jedes Gemeindemitglied messen zu lassen. Schriftliche
Aufzeichnungen, wie Kirchenbücher, Protokollbücher, Rechnungsbücher
oder Chroniken, wurden das soziale Gedächtnis in der
Gemeinde.
[2]
Die darin festgehaltene geringe personelle
Fluktuation ist ein Beweis für die Bodenständigkeit der
Gemeindemitglieder. Die Einhaltung der geltenden Norm, festgeschrieben
in der Gemeindeordnung, erzwang im Bedarfsfall die
Kirchenzucht
[3]
in ihren verschiedenen Stufen. Die
Gemeindeordnung war somit das Regulativ für die Funktionsfähigkeit der
Kirchengemeinde.
Die
Bühne, auf der anstehende
Probleme behandelt und versucht wurde, sie einer allgemeinverträglichen
Lösung zuzuführen, war die Gemeindeversammlung.
[4]
Hier wurden
die laufenden Geschäfte verhandelt, notwendige Entschlüsse über
personelle und finanzielle Grundlagen und Veränderungen gefasst und
Situationen, die das alltägliche gemeinschaftliche Miteinander in
Mitleidenschaft zogen, benannt, besprochen und, so gut es ging,
bereinigt. In dieser Problembehandlung zeigte sich das Wesen einer
solchen Gemeinschaft. Eine Anzahl von Individuen, untereinander
gleichberechtigt, beauftragte als Gemeinde in klar umrissenen Grenzen
einige wenige, wie z. B. Vorsteher, Trustees, Pastor, Lehrer oder eine
Kommission, mit der Durchführung bestimmter Aufgaben. Jene behielten
sich aber das Recht vor, durch Abstimmung, in unterschiedlichen
Mehrheiten bis hin zur Einstimmigkeit, die endgültige Entscheidung
selbst zu treffen. Die Individuen, zusammengeschlossen in ihrer
Kirchengemeinde, wollten sich nicht von Einzelnen vorschreiben lassen,
wie sie ihre Probleme zu lösen hatten. Eigenverantwortung und
Mitspracherecht, verankert in der Gemeindeordnung, war etwas, was ihnen
die alte Heimat mit ihren kirchlich-hierarchischen und auch
staatskirchlichen Traditionen oft nicht geboten hatte und auch nicht
bieten konnte. Hier in den neuen von den Gläubigen selbst verwalteten
Kirchengemeinden in den USA war es Wirklichkeit geworden und dies ließ
man sich nicht nehmen. Entsprechend waren die Handlungsweisen, die
zeigten, dass eine solche gewählte Organisationsform für das
alltägliche Miteinander in der Kirchengemeinde eine wesentliche
Voraussetzung für deren Lebensfähigkeit und Lebendigkeit war. Und nur
eine lebensfähige und lebendige Kirchengemeinde konnte einen gewissen
Schutz bieten gegenüber den noch als fremd empfundenen amerikanischen
Lebenswelten, die ringsum gegenwärtig waren.
Sinn
einer Kirchengemeinde war es, ihren Mitgliedern zu ermöglichen, einen
als richtig erkannten Glauben gemeinsam mit anderen leben zu können.
Nach anfänglich wirren Zeiten, in denen gerade gegründete oder schon
bestehende Kirchengemeinden ihren Weg noch suchten, schlossen sich
verschiedene zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Missouri-Synode an.
Es entstand ein Verbund, der bis heute andauert.
[5]
In den
Augen
der Gemeindeglieder stellte die Synode sicher, dass die von ihr
ausgebildeten Theologen das Wort Gottes rein und unverfälscht
lehrten.
[6]
Ordentlich berufen und anschließend in ihr Amt
ordiniert verstanden die Pastoren sich als Diener des Wortes Gottes im
Predigtamt und als Sachwalter des Schlüsselamtes, Ämter also, deren
Ausführung ihnen von der Gemeinde übertragen waren. Die meisten von
ihnen bewährten sich in der alltäglichen Gemeindearbeit, nicht gerade
üppig mit materiellen Gütern ausgestattet, aber doch so von ihren
Gemeinden versorgt, dass sie sich um ihren Lebensunterhalt nicht
übermäßig sorgen mussten.
[7]
Sie prägten ihrer Persönlichkeit
gemäß das Bild der Gemeinde mit, mussten sich aber, wie alle anderen
Mitglieder, den geforderten Normen stellen, sich vor der Allgemeinheit
verantworten, Aufträge entgegennehmen und beschlossene Änderungen im
Ablauf des kirchlichen Lebens akzeptieren. In der innergemeindlichen
Auseinandersetzung mit Andersgläubigen war der Pastor zwar stets an
wichtiger Stelle mit eingebunden, Entscheidungen wurden aber nach
öffentlichen Diskussionen in der Gemeindeversammlung getroffen. Damit
war auch im religiösen Bereich die Gemeinde der bestimmende Faktor.
[8]
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Die
Kirche im Jahre 1995 (Bild: Antonius Holtmann) |
Das Zusammenspiel der Kräfte innerhalb der Kirchengemeinde zeigte sich am
deutlichsten in der Gemeindeversammlung. Ins Spiel konnte sich in ihr jeder bringen,
das einzelne stimmberechtigte Gemeindemitglied, der gewählte Beamte, der Pastor oder
der Lehrer. Einschränkungen konnte es nur für denjenigen geben, der als Vorsitzender
der jeweiligen Versammlung gewählt wurde und damit für den reibungslosen Ablauf
verantwortlich war.
Mit
dem vorliegenden Protokollbuch der Sankt Johannesgemeinde am White
Creek blickt der Leser auf eine Kirchengemeinde in einer ländlichen
Region des Mittleren Westens innerhalb des Bundesstaates Indiana (USA)
und kann deren Organisation auf der Grundlage selbstgegebener
Handlungsanweisungen (Kirchenordnung oder Constitution) nachvollziehen.
Er erlebt ihre formellen und informellen Führungsstrukturen und deren
Auswirkung auf Alltagssituationen, Problemlösungen oder
–lösungsversuche. Kleinere und größere Probleme des Alltagslebens
werden ausgebreitet: z. B. die Sicherstellung der Versorgung des
Pastors/Lehrers u. a. mit Feuerholz (1855, 01, 08), die Bezahlung der
Kirchenschulden durch Mitglieder (1872, 01, 01), der Einzelne muss sich
vor der Gemeinde wegen der Zurücknahme seiner Unterschrift verantworten
(1877, 01, 01), Ärger über die ständige Wegberufung ihres Lehrers
(1877, 01, 28), vorausschauende Planung von Bauten (1874, 12, 20), die
Gemeinde beschließt, dass der Pastor manchmal englisch predigen soll
(1903, 10, 11), eine Mutter verklagt den Pastor, weil er den Sohn in
der Schule geschlagen hat (1858, 08, 05 etc.), eine Witwe soll unter
Vormundschaft gestellt werden (1897, 02, 07 etc.), ein Mitglied macht
Bankrott und soll wegen Verschwendung zur Rechenschaft gezogen werden
(1871, 10, 01 etc.), Alkoholprobleme (1888, 10, 28), Unterstützung des
Ehebruches seines Sohnes durch den Vater (1896, 07, 25 etc.), eine
Verlobte verweigert die Heirat trotz gegenteiligen Gutachtens durch die
Missouri-Synode (1873, 03, 30 etc.), eine Frau hat ihren Mann verlassen
(1880, 03, 29 etc.), oder ein Mitglied weigert sich, seine Kinder zur
Gemeindeschule zu schicken (1871, 03, 26 etc.).
Das
Protokollbuch in seiner deutschen Fassung dokumentiert die Ereignisse
vom 30. September 1853 bis zum 24. Dezember 1905.
Bei
der Transkription des Textes war die Nähe zum Original oberstes Gebot.
Das beinhaltet sowohl die orthographischen Fehler als auch schlechte
bzw. fehlerhafte Ausdrücke in der deutschen Sprache. Dies wird
besonders deutlich in den Protokollen des Zeitraumes 14. Januar bis 23.
Dezember 1900, aber nur so war sichergestellt, dass der Wille der
Kirchengemeinde in der Niederschrift des Protokollanten unverfälscht
dargelegt werden konnte. Nicht immer waren der Lehrer, seltener der
Pfarrer, die von der Versammlung eingesetzten „Sekretäre“.
Dank
sei gesagt der Johannesgemeinde am White Creek, heute Saint Jones
Lutheran Church, und ihrem Chairman Lloyd D. Meyer, die es ermöglicht
haben, dass ihr Protokollbuch interessierten Lesern zugänglich gemacht
werden konnte.
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Die
Kirche im Jahre 2003 (Bild: Harro Eichhorn) |
Bemerkungen:
- Kursiv
= Lateinische Schrift (außer in den Fußnoten, dort bedeutet es
eine Hervorhebung).
- Normal =
Deutsche Schreibschrift.
- [Wort] =
Erläuterung/Einfügung.
- [..] = Auslassung eines
Wortes.
- […] = Auslassung mehrerer Worte.
- 1877,01,01
= Jahr, Monat, Tag
- [?] = Konnte im Original nicht
eindeutig gelesen werden bzw. die
Bedeutung ist unklar.
Anmerkungen:
[1] Hier:
Constitution der Deutschen evangelisch-lutherischen St. Johannes
Gemeinde am White Creek. Sie regelt das Handeln ihrer Mitglieder, die
sich freiwillig zu dieser Kirchengemeinde zusammen geschlossen haben.
Die 22 Paragraphen dieser Constitution sind abgedruckt in Harro
Eichhorn: Stellenwert und Funktion von Gemeinde, Pastor und Lehrer in
Kirchengemeinden der Missouri-Synode des 19. und 20. Jahrhunderts. Auf
den Alltagsspuren deutscher Auswanderer in Kirchenbüchern,
Protokollbüchern und religiösen Periodika. Anlage 8.1.4., S. 449-454.
Diese Arbeit ist als PDF-Datei in dem Ordner „Elektronische
Dissertationen an der Universität Oldenburg“ unter dem Link: http://docserver.bis.uni-oldenburg.de/__publikationen/dissertation/2006/eicste06/eicste06.html
herunterladbar und wird im Weiteren als „Eichhorn:
Stellenwert und Funktion“ zitiert.
[2] Die
„Forschungsstelle Deutsche Auswanderer in den USA (DAUSA)“ verfügt auf
Mikrofilm unter anderem über nahezu alle Kirchenbücher und verschiedene
Protokollbücher der deutschen Gemeinden von Südostindiana (47
Kirchengemeinden).
[3] Zu
deren Handhabung siehe Kapitel 3.1.4. „Kirchenzucht“ in: „Eichhorn:
Stellenwert und Funktion“, S. 55-58.
[4]
Ausführungen hierüber siehe Kapitel „Die Gemeindeversammlung“ in:
„Eichhorn: Stellenwert und Funktion“, S. 58-72.
[5] Die
Johannesgemeinde ist seit 1851 Mitglied der Missouri-Synode. Über die
Missouri-Synode siehe Kapitel „Kirchliche Heimat: Die Missouri-Synode“
in: „Eichhorn: Stellenwert und Funktion“, S. 27-43.
[6]
Grundlage hierfür war Luthers Bibelübersetzung. Sie erschien im Laufe
der Zeit in weit über 400 Auflagen. Die 1852 beginnende und 1892/1912
beendete 1./2. Lutherbibelrevision wurde von der Missouri-Synode
abgelehnt. Siehe hierzu Kapitel 4.3.4. „Gesangbuch und Bibel“ und
Anlage 8.1.12 „Vergleich Lutherbibel/revidierte Lutherbibel 1902“ in:
„Eichhorn: Stellenwert und Funktion“, S. 234-239; 470-471. Die in den
Protokollbüchern angeführten Bibelstellen werden zitiert nach: Die
Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments,
nach der deutschen Uebersetzung Dr. Martin Luthers. 414. Auflage. Halle
a. d. S., (Canstein’sche Bibel-Anstalt), 1889. Zum besseren Verständnis
werden die analogen Verse in der heute gebräuchlichen
Einheitsübersetzung beigefügt.
[7] Zur
Bezahlung ihrer Pastoren durch die Gemeinden siehe Tabelle 8.3.3.
„Pastorengehälter der Gemeinden in Dollar“ in: „Eichhorn: Stellenwert
und Funktion“, S. 488-489.
[8] Zur
Einbindung der Pastoren in die Gemeinde siehe Kapitel 4 „Religiöses
Gemeindeleben“ in: „Eichhorn: Stellenwert und Funktion“, S. 183-281.